The body is the message

Wie die Ästhetik von heute zur Ethik von morgen wird: Gabriele Klein stellt in ihrem Buch „Electronic Vibration“ den Körper ins Zentrum ihrer Poptheorie  ■ Von Tobias Rapp

Techno spricht weiter. Obwohl sie noch immer fast völlig textfrei ist, wird rund um die elektronische Musik an Theorien gewerkelt, als stehe die nächste Jugendbewegung schon vor der Tür. Allein in Berlin sitzt bestimmt ein rundes Dutzend Menschen an Magister-, Diplom- oder Doktorarbeiten, in denen sie ihre Hör- und Ausgeherfahrungen der letzten Jahre irgendwo zwischen Detroit-Techno und Clubnetzwerken verarbeiten.

Jede Zeit hat den Soundtrack, in dem sie sich zu spiegeln glaubt, und die scheinbare Diskursferne als auch die Inhaltslosigkeit von Techno laden offenbar geradezu ein zu wilder Spekulation. Ulf Poschardts „DJ-Culture“ war eines der ersten Bücher, das die elektronische Musik zum Sprechen brachte und ihr im Vorbeigehen gleich noch eine Geschichte verpaßte – wenn auch im philosophischen Schlußteil hanebüchener Unfug zusammengequirlt wurde und nach einigen poststrukturalistischen Umwegen zu guter Letzt der Weltgeist in der Love Parade zu sich selbst fand. Nun legt der gleiche Verlag mit Gabriele Kleins „Electronic Vibration“ die ideelle Fortsetzung von „DJ-Culture“ nach. Mit einigen kleinen Unterschieden. Anders als Poschardts Buch verzichtet „Electronic Vibration“ fast völlig auf Geschichtsschreibung.Und ebenfalls anders als Poschardt sind Gabriele Kleins Überlegungen auch stimmig. Dafür ist es auch weit weniger aufregend. Bekam man bei Poschardt den coolen Unsinn, gibt es hier viel Sinn, der aber eher uncool daherkommt.

Das Buch hat drei Teile: Zunächst geht es um die mediale Darstellung von Techno in den Mainstream-Medien auf der einen und den Szeneblättern auf der anderen Seite. Dann dreht es sich um die Raver und deren Sicht auf sich selbst. Und schließlich baut Klein im Schlußteil anhand von Techno und allem, was Kulturwissenschaftlern der letzten zwanzig Jahre an Texten heilig war, eine (Pop-)Kulturtheorie auf, die den Körper in den Mittelpunkt stellt, eine, die Club- und Ravekultur symptomatisch für einen umfassenden kulturellen Wandel versteht.

Daß Klein den Tanz und damit den Körper in den Mittelpunkt ihres Buchs stellt, erstaunt auf den ersten Blick vor allem deshalb, weil das bei einer Jugendkultur, die sich so sehr um die Tanzfläche dreht, noch niemand getan hat. Wahrscheinlich deshalb, weil die meisten anderen Technotheoretiker zu denen gehören, die lieber einem DJ auf die Finger schauen, als sich selbst auf der Tanzfläche herumzutreiben. Daß Gabriele Klein aber nicht nur Soziologin ist, sondern auch einmal Tänzerin war, hat sie wohl für den Kern ihrer Arbeit sensibilisiert. So wichtig der Tanz in der Popkultur schon immer war, so sehr wurde er im Pop-Diskurs vernachlässigt.

Die Hauptthese des Buches lautet etwas so: Die elektronischen Vibrationen zielen zuerst auf den Körper. The body is the message. Die Aneignung von (Pop-)Kultur funktioniere vor allem über den Körper, über einen Prozeß, den Klein mimetische Aneignung nennt. Sie sei eben nicht nur ein sozialer, sondern immer auch ein leiblicher Prozeß. Dieser Techno-Körper, der am Übergang zwischen Arbeits- und Freizeitgesellschaft stehe, werde eben nicht bedingungslos von der Kulturindustrie geformt, sondern gleiche sich medialen Bildern an und verändere sie durch diese Verkörperung. So werde die Ästhetik von heute zur Ethik von morgen. Die Popkultur bilde bei diesem Prozeß nichts weiter als den Rahmen für solche Aneignungen.

Im Prinzip schreibt Klein dort weiter, wo auch Klaus Theweleit sich schon seit Jahren umtut: Sie versucht das Funktionieren kultureller Diskurse und Mechanismen direkt in den Körpern zu verorten. Es geht ihr eher um die Frage, wie diese Körper funktionieren, als darum, ihre Erkenntnisse zu bewerten. All das federt sie dann ab mit allem, was die Kulturwissenschaftsbibliothek zu bieten hat, und nach allen Regeln der akademischen Kunst, aber ohne prätentiös zu sein. Alles wird gewürdigt und auf seine Tauglichkeit für die späten Neunziger abgeklopft: die Frankfurter Schule und Umgebung, etwa Siegfried Kracauer, Foucault, Baudrillard und ihre jeweiligen Freunde, Pierre Bourdieu, die britischen Kulturwissenschaftler rund um Stuart Hall, Marshall McLuhan, Andy Warhol und Rainald Goetz.

Doch diese Gelehrsamkeit ist zugleich die Schwäche von „Electronic Vibrations“. Denn viele Theorien, die Klein mit großem Aufwand aus dem Weg räumt, sind ohnehin nichts weiter als akademische Pappkameraden. So nett es sein kann, noch einmal in epischer Breite hergeleitet zu bekommen, warum die Mainstream/Underground-Scheidung spätestens seit Techno keinen Sinn mehr macht, wo die blinden Flecken der Thesen zur Kulturindustrie sind oder festzustellen, daß Pop und Subversion eben nicht notwendigerweise zusammengehören – wer das vorher noch nicht wußte, der weiß es nach der Lektüre von „Electronic Vibration“ immer noch nicht. Und so originell es ist, den Körper in den Mittelpunkt der Untersuchung zu rücken: Wenn am Ende herauskommt, daß Techno der Soundtrack bewußter Konsumenten zur befriedigten und selbstbestimmten Bastelbiographie ist, dann treibt das Buch einen großen Aufwand, um am Ende eben doch nur bei Allgemeinplätzen zu landen. Über die Frage, ob dieser Befund nun stimmt oder nicht, müßte in anderem Vokabular nachgedacht werden.

Gabriele Klein: „Electronic Vibration“. Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, 352 Seiten, 36 DM

Electronic Vibration ist die erste Theorie, in der eine Jugendkultur von der Tanzfläche her erschlossen wird

Es geht nicht um Bewertung, sondern um die Frage, wie die Körper funktionieren