Showdown bei den Grünen

Hektisch ringt sich die Partei zu einem halben Kriegseinsatz durch: Die Luftangriffe werden fortgeführt, der grüne Außenminister Fischer soll sich parallel um eine diplomatische Lösung bemühen. Die Partei schickte ihn mit Farbbeuteln auf die Reise  ■ Aus Bielefeld Dieter Rulff

Der Krieg macht bekanntlich keinen Unterschied zwischen den Ansichten seiner Opfer. Kriegsgegner auch nicht. Sie bewarfen Claudia Roth und Fritjof Schmidt genauso mit Currywurst wie Gunda Röstel, egal ob linker oder rechter Parteiflügel. Das sei doch ungerecht, fand die Bundestagsabgeordnete Roth,wobei sie offenließ, worin in diesem Fall die Gerechtigkeit liegen könnte.

Fundi-, Protest-, Oppositions- oder Regierungspartei – alle Bilder, die man sich je von den Grünen gemacht hat, irgendwo im großen Saal fand jedes von ihnen eine Entsprechung. „Eine Entscheidung über die Zukunft der Grünen“ erwartete die verteidigungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Angelika Beer. Viele ehemalige Grüne wollten den Showdown miterleben: Rainer Trampert und Thomas Ebermann, einst Führer der Ökosozialisten, die 1987 der Partei grollend den Rücken kehrten, hatten ebenso unter den Zuschauern Platz genommen, wie die Ex-Frontfrau der Fundis, Jutta Ditfurth, oder Jürgen Reents, heute PDS-Abgeordneter. Sie alle waren gekommen, vielleicht um die späte Genugtuung zu erfahren, doch im Recht gewesen zu sein.

Die wochenlangen Auseinandersetzungen hatten sich in der Alternative kristallisiert: Sollen die Grünen für eine sofortige unbefristete Einstellung der Luftangriffe eintreten? Oder sollen sie die Bundesregierung zu einer befristeten Einstellung der Kampfhandlungen auffordern? Für einen zeitweisen Bombenstopp trat der grüne Bundesvorstand der Partei ein – mit dem Segen Joschka Fischers. Der Außenminister hatte bereits zuvor signalisiert, er könne mit dieser Formulierung leben. Hinter dem sofortigen Stopp des Bombardements Belgrads stand – mehr oder weniger eindeutig – die Parteilinke. Mal stand die Position pur, mal garniert mit einer Rücktrittsaufforderung an Fischer.

Die Feuerpause, sagte der Sprecher des Berliner Landesverbandes, Andreas Schulze, ist eine „hohe symbolische Frage“. Sie entscheidet alles. Selbst der Einsatz einer robusten Kampftruppe als Friedensstreitmacht sei diesmal unbedeutender. Eine zentrale Rolle sollte am gestrigen Tag der linke Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele haben, der in den letzten Wochen der profilierteste Kritiker der Nato-Luftangriffe war. „Der Christian“, erläuterte Schulz, „trägt eine hohe Verantwortung, er ist der Entscheidende.“ Nur wie würde sich Christian Ströbele entscheiden? Vor dem Parteitag hatte er klargemacht, daß er kein Ende des Regierungsbündnisses wünsche. Zugleich trat er aber für eine unbefristete Feuerpause ein. Nun ist Ströbele zwar ein bekennender Linker – aber auch ein Urgrüner. Mit Ströbele, sagt Fischer, verstehe er sich bei aller Differenz prächtig. Mit Ströbele hat Fischer bereits auf dem letzten Parteitag in Sachen Kampfeinsätze einen Kompromiß ausgehandelt.

Den möglichen Weg zum Kompromiß ebnete im Vorfeld Sröbeles Heimatverband Berlin. Er hatte die befristete Feuerpause unter anderem daran gekoppelt, daß in der so entstehenden Zeit „die jugoslawische Seite die Vertreibungen einstellen und mit dem Rückzug ihrer bewaffneten Kräfte beginnen“ muß. „Die Feuerpause kann verlängert werden, wenn die Belgrader Führung dieses vollzieht.“ Mit dieser Formulierung war die befristete Feuerpause hin zu einer unbefristeten geöffnet worden. Ein Formelkompromiß, könnte man sagen, ein Königsweg meinte Andreas Schulz, um den Zusammenhalt der Partei zu sichern.

Der Bundesvorstand übernahm diesen Passus in seinen Antrag. Fischer verbaute in seiner Rede die Möglichkeit, eine andere Position zu beziehen und gleichzeitig an der Regierungsbeteiligung festzuhalten. Er wollte „Tacheles reden“. Der Parteitag müsse die Bedinungen dafür schaffen, „daß ich Außenminister sein kann“. Eine einseitige unbefristete Einstellung halte er für das grundfalsche Signal an Miloevic. Das „werde ich nicht umsetzen“, kämpfte der Außenminister für seine Position. Schon zuvor war ihm in seinem Umfeld geraten worden, offensiv sein Anliegen zu vertreten. Zu dieser Offensive bewegten ihn letztlich das gellende Pfeifkonzert, mit dem seine Rede bedacht wurde, und die Eier, die in Richtung Podium flogen. Er argumentierte, er schrie gegen die Störer an, die ihn aus dem Hintergrund der Halle als Kriegstreiber und Mörder attakkierten. Er habe sich nicht träumen lassen, daß Rot-Grün Krieg führen müsse. Aber der Krieg, der gehe nicht seit 53 Tagen, sondern bereits seit 7 Jahren. Er habe „alles, was in meiner Kraft stand, getan, die Konfrontation zu verhindern“. Unter dem Stakkato der Trillerpfeifen warf er Miloevic vor, die völkische Politik nach Europa zurückgebracht zu haben. Und an Ströbele gewandt, forderte er, zu erklären, wie er sich denn nach einem Waffenstillstand Verhandlungen mit Miloevic vorstelle. Immerhin habe der seit 1993 18 Waffenstillstände gebrochen, seien seitdem 73 UN-Resolutionen verfaßt worden. Miloevic mache ein ganzes Volk zum Kriegsziel und destabilisiere die Nachbarstaaten.

Fischers Rede endete in einer Mischung aus Standing Ovations und gellendem Pfeifkonzert. Fischers Position wurde von vielen getragen, die vor noch nicht allzu langer Zeit in Fragen der Verteidigungspolitik mit ihm im Clinch lagen. Angelika Beer sprach sich ebenso für den Vorstandsantrag aus wie Kerstin Müller und Antje Radcke. Die Opposition wird bei den Grünen nicht mehr von denen formuliert, die Regierungslinke genannt werden, sie kommt nun von Leuten wie Bärbel Höhn oder Uli Cremer. Der Hamburger ist der Kopf des pazifistischen Flügels. Von ihm kam die vehementeste Kritik an der Politik des „deutschen Kriegskabinetts“. Er wehrt sich dagegen, daß diese Regierung nun Cruise-Missiles einsetzt, gegen die die Grünen doch vor Jahren demonstriert haben, um Jugoslawien „in Schutt und Asche zu legen“. Die UN werde geschwächt durch die neue Nato-Strategie. Die Grünen, so Cremers Fazit, „haben historisch versagt“.

Zwischen Fischer auf der einen und Cremer auf der anderen Seite positionierte sich Ströbele in seiner Rede. Er bekräftigte, daß Schluß sein müsse mit den Luftangriffen, es solle Initiative ergriffen werden, um an den Verhandlungstisch zu kommen. Er bekräftigte den Willen, die Koalition fortzusetzen, und wandte sich gegen Fischers Grenzziehung. Die Grünen dürften nicht unter solch einem Druck verhandeln, „wenn wir sagen, was die Seele der Bündnisgrünen ausmacht“. Deshalb blieb Ströbele bei seinem Antrag, er wollte eine Entscheidung, damit ein Zeichen ausgeht von Bielefeld für unsere Arbeit und für das Kosovo.

Nach der Abstimmung ist klar, welches Zeichen in das Kosovo ausgeht: Die Luftangriffe werden fortgeführt, die Bundesregierung wird parallel weiter diplomatische Lösungen suchen. Die Koalition steht stabil, auch wenn die Abstimmung kein überwältigendes Ergebnis für den Bundesvorstand erbracht hat. Für die Arbeit der Grünen wurde allerdings das Signal gegeben, daß sich die Partei nicht länger Beschlußlagen leisten will, die neben oder gar jenseits dessen liegen, was die Regierung machen wird. Der Parteitag hat akzeptiert, daß die Grünen eine Partei in der Regierungsverantwortung sind, die sich vor allem über ihre Regierungspolitik profiliert.

„Von diesem Parteitag muß ein Zeichen für die Arbeit der Grünen ausgehen“