Dokumentation
: „Ich habe alles getan, was in meinen Kräften stand“

■ Nachdem er von einem Farbbeutel am Ohr getroffen wurde, hielt Joschka Fischer seine Rede. Wir dokumentieren Auszüge:

„Liebe Freunde, liebe Gegner, geliebte Gegner: Wißt ihr, ein halbes Jahr sind wir jetzt hier in der Bundesregierung. Ein halbes Jahr – ja, jetzt kommt ihr, ich hab' darauf gewartet: Kriegshetzer, hier spricht ein Kriegshetzer und Herrn Miloevic schlagt ihr demnächst für den Friedensnobelpreis vor ...

Mit Sprechchören, mit Farbbeuteln wird diese Frage nicht gelöst werden ... Ich hätte mir auch nicht träumen lassen, daß wir Grüne unter Polizeischutz einen Parteitag abhalten müssen ...

Ich war bei Miloevic, ich hab' mit ihm zweieinhalb Stunden diskutiert. Ich habe ihn angefleht, darauf zu verzichten, daß die Gewalt eingesetzt wird im Kosovo. Es ist der Krieg, ja, und ich hätte mir nie träumen lassen, daß Rot-Grün mit im Krieg ist. Aber dieser Krieg geht nicht erst seit 51 Tagen, sondern seit 1992 ...

Wir haben uns entschieden, in die Bundesregierung zu gehen. In einer Situation, als klar war, daß hier die endgültige Zuspitzung der jugoslawischen Erbfolgekriege stattfinden kann ...

Nur, ich kann euch nochmals sagen, was ich nicht bereit bin zu akzeptieren: Frieden setzt voraus, daß Menschen nicht ermordet, daß Menschen nicht vertrieben, daß Frauen nicht vergewaltigt werden ... Ich bin der letzte, der nicht sagen würde, daß ich keine Fehler gemacht habe, auch und gerade in letzter Zeit. Wenn darauf hingewiesen wird – auf die Lageberichte – (das) war ein Fehler, den muß ich akzeptieren. Ich konnte im ersten halben Jahr und vor allem unter dem Druck nicht alles machen, aber ich trage dafür die Verantwortung und werde zu Recht deswegen kritisiert ...

Ich kann nur versichern, ich habe alles getan, was in meinen Kräften stand, um diese Konfrontation zu verhindern. Wenn einer in dieser Frage meint, und eine, er könne eine Position einnehmen, die unschuldig wäre, dann müßten wir die Position mal durchdeklinieren ... Für mich spielten zwei zentrale Punkte ... eine entscheidende Rolle: ... In Solingen, als (es) zu diesem furchtbaren mörderischen Anschlag auf eine ausländische Familie, auf eine türkische Familie, kam. Die rassistischen Übergriffe, der Neonazismus, die Skinheads ... Ich frage mich, wenn wir innenpolitisch dieses Argument immer verwandt haben, gemeinsam verwandt haben, warum verwenden wir es dann nicht, wenn Vertreibung, ethnische Kriegsführung in Europa wieder Einzug halten und eine blutige Ernte mittlerweile zu verzeichnen ist. Ist das moralische Hochrüstung, ist das Overkill?

Auschwitz ist unvergleichbar. Aber ich stehe auf zwei Grundsätzen, nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus. Beides gehört bei mir zusammen. Deswegen bin ich in die Grüne Partei gegangen ...

Ihr mögt alles falsch finden, was diese Bundesregierung gemacht hat und die Nato macht. Aber mich würde mal interessieren, wie denn von einem linken Standpunkt aus das, was in Jugoslawien seit 1992 an ethnischer Kriegsführung, an völkischer Politik betrieben wird, wie dieses von einem Linken, von eurem Standpunkt aus, denn tatsächlich zu benennen ist ...

Ich war am letzten Sonntag im Flüchtlingslager in Mazedonien. Geht doch mal mit eurer Position dorthin und redet mit den Menschen. Mal sehen, was die dazu sagen. Es sind die direkt Betroffenen. Es sind die Vertriebenen ...

Diese Politik ist in einem doppelten Sinne verbrecherisch. Ein ganzes Volk zum Kriegsziel zu nehmen, zu vertreiben durch Terror, durch Unterdrückung, durch Vergewaltigung, durch Ermordung und gleichzeitig die Nachbarstaaten zu destabilisieren: Dies bezeichne ich als eine verbrecherische Politik ...

Miloevic darf sich nicht durchsetzen. Wir dürfen nichts beschließen, was in diese Richtung gehen könnte ...

Wir haben darauf gesetzt, den Vereinten Nationen endlich wieder eine entscheidende Rolle zukommen zu lassen. Wir haben darauf gesetzt, Rußland ins Boot zu bringen, was mit G 8 gelungen ist. Wir setzen darauf, das, bitte ich Euch, ist der Kern des Ganzen. Nicht, ob wir mit einem guten Gewissen nach Hause gehen, nicht, ob wir uns mit Farbbeuteln beschmissen haben, sondern ob wir politische Entscheidungen treffen, die die Rückkehr der Vertriebenen ermöglicht. Ja oder Nein, das ist der Maßstab.

Das ist auch der moralische Maßstab, der friedenspolitische Maßstab. Ohne diese Rückkehr wird es keinen Frieden geben ...

Ich freue mich ja, wenn gesagt wird, von Christian Ströbele und anderen, sie wollen, daß Joschka Fischer Außenminister bleibt. Aber da müßt ihr die Bedingungen auch dafür schaffen, daß ich erfolgreich Außenminister sein kann. Ich werde mit eurem Antrag geschwächt aus diesem Parteitag hervorgehen, nicht gestärkt. Ich halte zum jetzigen Zeitpunkt eine einseitige Einstellung – unbefristet – der Bombenangriffe für das grundfalsche Signal. Miloevic würde dadurch gestärkt und nicht geschwächt. Ich werde das nicht umsetzen, wenn ihr das beschließt, damit das klar ist ... Was ich euch als Außenminister bitte, ist, daß ihr mir helft, daß ihr Unterstützung gebt und daß ihr mir nicht Knüppel in die Beine werft und daß ich nicht geschwächt, sondern gestärkt aus diesem Parteitag herausgehe, um unsere Politik weiter fortsetzen zu können.“ dpa