Schlagstockeinsatz zum grünen Parteitag

■ Ausnahmezustand bei den Grünen: Der Parteitag zum Kosovo-Krieg sieht sich umzingelt von Polizei und Grünengegnern. Autonome kämpfen Seit' an Seit' mit Milosevic' serbischen Claqueuren. Außenminister Joschka Fischer spricht beschützt von Bodyguards zu den „lieben Freundinnen und Freunden“

Der linke Fuß hat das Taxi noch nicht ganz verlassen, da gehen die Beschimpfungen schon los. „Kriegstreiber!“ „Mörder!“ „Macht, daß ihr wegkommt!“ Der Körper, der sich dem Fuß hinterherschiebt, gehört dem Kameramann eines Privatfernsehsenders. „Ich hab' mit den Grünen gar nichts zu tun“, wehrt er ab und versucht, sich einen Weg durch die dichtgedrängte, erregte Menge von Antikriegsdemonstrierenden vor der Seidenstickerhalle in Bielefeld zu bahnen. Vergeblich. Der Tagungsort des grünen Sonderparteitags ist seit dem frühen Morgen mit Zäunen und Barrikaden hermetisch abgeriegelt.

Ein Polizist weist den Weg: „Wir können Sie hier leider nicht reinlassen, der Veranstalter will, daß Sie den Haupteingang benutzen.“ Doch den bewachen wie bissige Hunde mindestens 600 wütende Menschen – Autonome ganz in Schwarz, manche vermummt, Friedensbewegte, serbische Organisationen. „Fischer muß weg!“, „Stoppt den 3. Weltkrieg!“ fordern sie auf Plakaten, „Nato raus aus Jugoslawien“ grollt es vom Lautsprecherwagen.

Jeder Spruch taugt jetzt für einen historischen Vergleich: „Auch Hitler dachte, er könnte die Welt regieren“, steht auf einem Transparent. Grüne Parteimitglieder, Delegierte, Journalisten müssen sich abdrängen lassen. Eier fliegen, Farbbeutel treffen ins Leere. Als der Bonner Fraktionsvorsitzende Rezzo Schlauch trotzdem durchwill, kommt es zu Rangeleien zwischen Ordnern, Demonstrierenden und Polizei. Durchschmuggeln können sich nur solche, die entsprechend gekleidet sind: In schwarzer Lederjacke und schwarzen Jeans schafft es ein grüner Abgeordneter, die Front der Autonomen auszutricksen. Die meisten anderen sind dann doch auf die Mithilfe der Polizei angewiesen. Peinlich ist das vielen – nur mit Hilfe des „staatlichen Repressionsapparats“, den sie jahrelang in Parteiprogrammen bekämpften, zu ihrem Parteitag zu gelangen.

Die Polizei gibt später „vereinzelt Schlagstockeinsätze“ zu. Bis mittags werden nach Polizeiangaben elf Menschen wegen Körperverletzung festgenommen, 45 weitere „aus der autonomen Szene“ in Gewahrsam genommen. Auch zwei Polizisten werden leicht verletzt. Der Lautsprecherwagen wird beschlagnahmt, „weil von dort zu Gewalttaten aufgerufen wurde“ – so die Polizei.

Drinnen in der Halle stinkt es nach Buttersäure. „Hat hier jemand in die Luft gekotzt?“ fragt einer. Die Stimmung ist gereizt. Anträge zur Geschäftsordnung werden verlesen. Buhrufe, Pfiffe. Da plötzlich springt die grüne Elite vorn auf der Bühne entsetzt auf: Joschka Fischer ist aus nächster Nähe am rechten Ohr von einem Farbbeutel getroffen worden. Die rote Farbe rinnt den Hals hinab, versaut sein Jackett. „Ist kein Blut, ist kein Blut“, weiß eine Frau im Publikum die Umstehenden aufzuklären. Fischer bleibt als einziger ruhig sitzen. Umweltminister Trittin reicht fürsorglich Taschentücher, Fischer nimmt genervt an, Fraktionschefin Kerstin Müller reinigt wie wild den ebenfalls besudelten Tisch. „Arschlöcher! Raus!“ schreit von hinten der Hamburger Stadtentwicklungssenator Willfried Maier. „Wen meinen Sie damit?“ will eine Delegierte wissen.

Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer erklärt den Raum vor der Bühne zur Bannmeile. Die Ordner fordert er auf, „maßvoll, aber entschieden“ gegen Störer vorzugehen. „Das ist ja wie bei der CDU“, spottet ein Journalist.

„Mit Farbbeuteln wird das nicht gelöst“, brüllt Fischer später in seiner Rede. Pfiffe. Pfiffe auch für Angelika Beer, die verteidigungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, die fragt, was denn „die Alternative zum Wegsehen“ sei. Wieder Tumulte. „Während ihr hier dieser Zicke zuhört, wird hinter der Bühne ein Mensch zusammengeschlagen“, zetert ein junger Mann. Angeblich, heißt es später, sei ein Mann „unbefugt“ in ein Pressebüro nahe der Bühne eingedrungen. Trittin wittert Gefahr. „Sperrt das hier ab“, herrscht er die Ordner an. Christian Ströbele, der kriegsablehnende Bundestagsabgeordnete, der vielen im Saal noch gut als ehemaliger RAF- Anwalt bekannt ist, kommt hinter der Bühne hervor. Was denn los gewesen sei? Er winkt gestreßt ab. „Da ham sie einen festgenommen, und den bringen sie jetzt raus.“ Heike Haarhoff, Bielefeld