Meine Straße
: Alles Mafia, oder was?

■ Wenn Bestattungsunternehmen „Pflegeleicht“ und Trödelläden „Dödel“ heißen, läßt es sich besonders gut in Neukölln aushalten

„Schaffe, schaffe, Häusle baue, besser Brot als Schnitzle kaue!“ Seit einigen Tagen erwartet mich abends ein Punk von der Schwäbischen Alb am U-Bahnhof Leinestraße, Ausgang Okerstraße, meiner Straße. Ich wohne hier schon seit zwölf Jahren, will aber ganz bestimmt nicht bauen. Dieser Schwabe mit dazugehörigem struppigem Köter natürlich auch nicht. Im Grunde will der nur eine Hundehütte, noch ein Sixpack und: „Haschte mal ein paar Grosche?“

Die Ecke Hermann-/Okerstraße hat sich in den vergangenen drei Jahren zu einem beliebten Standort zielgerichteten Handaufhaltens entwickelt. Hier trifft U-Bahn-Ausgang auf Supermarkt-Eingang und umgekehrt, was in der Summe ein hohes Passantenaufkommen während noch handelsüblicher Ladenöffnungszeiten garantiert.

Vor einer Dekade und zwei Jahren gab es in meiner Straße nur Kriegswitwen, die, mit Gießkanne, Schaufel und Topfpflanzen aus dem Blumenladen gerüstet, regelmäßig den Friedhof um die Ecke umgruben. Heute liegen sie selbst dort begraben.

Immerhin, den Blumenmarkt hat es noch in meiner Straße, obwohl da mittlerweile auch ein Generationswechsel stattgefunden hat. Der ehemalige Lehrling hat sich nämlich einst dieselben Dauerwellen machen lassen (beim Friseur in meinem Haus) wie ihre Chefin. Dann hat sie deren Sohn geheiratet, ein Enkelkind in die Welt gesetzt, Schwiegermutter und Schwiegerpapa damit nach Hause geschickt und selbst die ganze Chose übernommen. Geschicktes Neuköllner Marketing eben, denn ähnlich erzwungene Familienbande ziehen sich durch die ganze Straße.

Da wäre zum Beispiel der Italiener an der Ecke zur Hermannstraße. Eine Freundin, die hier auch mal gewohnt hat, sagte immer: „Alles Mafia.“ Wir wunderten uns nämlich, wie man hier Geld mit Pizza verdienen kann, wo es nur Omas gab, die es mit den Toten hielten, und Neuköllner in Jogginghose, Muskelshirt und Badelatschen, die sich an Hefekaltschalen in Kneipen wie der „Okerquelle“ labten.

Doch in meiner Straße hat sich einiges getan: Der „Kochlöffel“ heißt jetzt „Kochkelle“ und gehört Tina (das weiß ich von den blauen Karten, die ich immer in meinem Briefkasten finde), ist eigentlich ein Imbiß, aber im Prinzip mein Postamt. Bei Tina kann ich alle meine Pakete abholen, die in den dritten Stock hochzubringen der Postbote zu faul ist.

Neben Tinas Kelle bewährt sich seit geraumer Zeit das familiär strukturierte Vorbestattungsunternehmen „Pflegeleicht“. Dieses allerdings konnte nicht verhindern, daß eine meiner liebsten Nachbarinnen nicht direkt von der Okerstraße auf besagten Friedhof gelangt ist – wie es ihr am liebsten gewesen wäre –, sondern mit Alzheimer in einem Heim am Steinplatz gelandet ist, wo sie sich nun erst recht nicht auskennt.

Nun, bis zur Kreuzung Okerstraße/Schillerpromenade mit vier Ecken und drei Kneipen folgen auf den nicht unbedingt erfolgreichen Seniorendienst ein weiterer Friseur, der mangels Kundschaft den lieben langen Tag Viva schaut („Alles Mafia“), eine Drogerie mit einer Abteilung für Haustiere sowie seit kurzem ein türkischer Bäcker mit Schrippen im Angebot.

Auf der anderen Seite zurück wäre da noch der türkische Markt zu erwähnen. Mittlerweile ist der zwar in Edeka-Hand, wird aber dennoch von der zweiten türkischen Generation betrieben. Diagonal gegenüber dem Bäcker hat gerade ebenfalls ein Türke den „Okerkrug“ übernommen. Standhaft geblieben ist der Heimwerkerhandel mit angeschlossener Lackfabrik, während die „Okerquelle“ sich seit neuestem „Nashville“ nennt. Ehrlich gesagt, habe ich mich ja schon gewundert, wo diese Gummibandbaumwollhosen in Sporenstiefeln und mit Cowboyhut herkommen. Es muß da eine Verbindung zwischen ehemaliger Quelle und dem „Trödel Dödel“ geben, wo man so was nämlich kaufen kann. (Alles Mafia eben!)

Nicht nur die weggezogene Freundin hat mir schon oft nahegelegt: „Du mußt da jetzt aber auch mal langsam weg!“ Manchmal denke ich das, zugegeben, selbst. Aber wenn dann plötzlich eine Ente in Pulli und Latzhose, so groß wie ein Sessel und bunt wie ein Papagei, vor meine Füße plumpst, dann ist diese Straße ein Geschenk des Himmels – Mafia hin, Gießkannenprinzip her. Petra Welzel