„Unsere beste Werbung“

■ Die Bundeswehr ist wieder anerkannt, und wir können endlich wieder offen reden

Sie wohnt einige Häuser weiter, ist die Frau eines seit Jahren pensionierten Offiziers und erzählt mir von ihren „gemischten“ Gefühlen, seit sich ihr Sohn freiwillig gemeldet hat zu den Balkan-Bodentruppen, die bereits seit Wochen noch nichts erleben dürfend rund um Serbien stationiert sind. Sie habe es ihm ausreden wollen, sagt sie, aber der dreifache Sold war ein Argument, dem sie nichts entgegenzusetzen hatte. „Er ruft von seinem Handy täglich an“ – ein paar Worte nur, sonst wird's zu teuer.

Und sie weiß dann, ihm geht es noch gut. Daß er seinen lange wie sein Vater geübten Beruf als Offizier nun wie sein Großvater wirklich ausprobieren soll, daran will die Mutter gar nicht denken, „nicht mal für noch mehr Sold“, sagt sie zu mir.

Ihr Junge hat jetzt Zeit, Briefe zu schreiben, gutgelaunte, mit immer etwas Lustigem darin beigelegt. Aus seinem letzten zeigt sie mir das internationale Warnschild für Landminen, ein rotes Dreieck mit weißen Buchstaben, aufzuhängen an dünnen roten Bändchen. Es paßt genau in einen 1/3-DIN-Querumschlag und wird als Gag dort im Casino verkauft.

Casino, ich erinnere mich, das ist der Speise- und Veranstaltungsraum für Offiziere, in denen der gemeine Soldat nichts zu suchen hat. Bei dem Gedanken, daß das ja immer noch so ist, fällt mir schlagartig ein, daß die Armeelogistiker vielleicht auch an feudale für den Generalstab, gute für das Offizierskorps und gemeine Zinksärge für gemeine Soldaten gedacht haben.

Sein Vater kommt dazu: „Dieser ganze Balkankrieg geht uns ja eigentlich nichts an, er wird seit 700 Jahren mehr oder weniger offen ausgetragen, und ich als ehemaliger Offizier sehe keine Möglichkeit eines militärischen Erfolgs, außer daß die Bundeswehr wieder anerkannt ist und wir wieder frei reden können. Oder-Hochwasser oder Friedenseinsätze sind unsere beste Werbung, und niemand spricht nach vollbrachter Heldentat von Flurschäden. Niemand hätte das vor kurzem noch zu hoffen gewagt, heute darf man jeden Pazifisten selbst unter Intellektuellen einen nützlichen Idioten schimpfen oder ihn als unverbesserlichen Kommunistenfreund disqualifizieren.“

Vorletzte Woche habe er eine Radiosendung über Immanuel Kant gehört, in der Rüdiger Safranski behauptete, Kant wäre sicherlich für den Bundeswehreinsatz gewesen, und er lacht hämisch. Dann zeigt er mir noch den letzten Brief seines Sohnes, nicht an die Familie adressiert, sondern direkt an ihn – sogar mit seiner ehemaligen Dienstbezeichnung:

Herrn Major im Generalstab Soundso, und ich sehe auf dem mit Emblemen der Esfort-Truppe bedruckten Umschlag einen dicken blaugrauen Stempel: FELDPOST-BRIEF, umrandet und in der heute ungebräuchlichen, aber aus der Zeit vor 1945 bekannten Schrift Amtsfraktur gesetzt. Vielleicht ein alter Stempel, den sie da gefunden haben, von 1941 oder 1943, aber so alt sieht er eigentlich nicht aus.

Sigurd Wendland