Hörhilfe
: Immer auf der Suche nach Abkürzungen

■ Prima hören und Zeit sparen: Die Zweitverwertung von Erfolgsromanen

Lesen ist eine ausschließliche Angelegenheit. Wenn man zum Beispiel ein besonders schönes Buch gelesen hat, sagt man anschließend, man habe bei der Lektüre alles andere vergessen. Mit dem Zuhören ist das anscheinend anders. Zumindest wird in den Besprechungen von Hörbüchern gern darauf hingewiesen, daß sich irgend eine Literatur-Kassette ganz hervorragend dafür eigne, bei der Hausarbeit oder einer längeren Autofahrt gehört zu werden – als sei die Tatsache, daß man sich ein Buch zu Gemüte führen und gleichzeitig noch etwas anderes tun kann, schon ein Qualitätsmerkmal.

Der Münchner HörVerlag wirbt sogar damit: „Keine Zeit zum Lesen? Dann hören Sie doch jetzt mal zu“, steht in seinen Anzeigen. Im HörVerlag erscheint vor allem das, was auf Papier gedruckt schon ein Erfolg ist, ein halbes oder ein ganzes Jahr später als Audiobuch – und weil man erkannt hat, daß die Zeit knapp ist, sind die Hörbücher dieses Verlages meist gekürzte „Lesefassungen“. Aus den 413 Leseseiten von Martin Walsers „Ein springender Brunnen“ werden so zum Beispiel 146 Hörminuten. Schlimm ist das in diesem Fall eigentlich nicht, denn das Interessanteste ist sowieso, daß der Autor hier selbst liest. Martin Walser hatte ja bekanntlich im letzten Herbst der ganzen Welt mitgeteilt, daß er sich an die Zeit vor 1945 lieber für sich allein erinnert. Daß man ihn jetzt seine Erinnerungen laut vorlesen hört, wenn auch ein bißchen als Roman getarnt, macht die Hörbuch-Version vom „Springenden Brunnen“ direkt pikant: Man kommt sich beim Zuhören vor, als habe man eine Einladung in das ganz private Opa-Walser-erinnert-sich-Hinterzimmer bekommen.

Auch Monika Maron hat vor kurzem ein Erinnerungsbuch geschrieben: „Pawels Briefe“. Im Gegensatz zu Martin Walser sagt sie „ich“ und „meine Mutter“ und „mein Großvater“, und weil sie es ebenfalls selbst eingelesen hat, klingt dieses Hörbuch gleich doppelt echt. Toll: eine Literaturkassette, die nicht einfach nur Appetizer oder Abfallprodukt ist, sondern mehr kann als das gedruckte Buch. „Pawels Briefe“ sind im Hamburger Verlag „voices editionen“ erschien, wo man sich vor allem um Schriftstellerinnen kümmert. Dort gibt es auch Zoé Jennys Debütroman „Das Blütenstaubzimmer“, doch dieses Hörbuch kann man sich sparen. Es kann weniger als das Papierbuch: Die Schauspielerin Alexandra Henkel liest den in Wirklichkeit ja gerade sehr erwachsenen und oft kühlen Text wie die Tagebuchaufzeichnungen eines kleinen Mädchens – und warum man diesen eh recht kurzen Roman zusammengestrichen hat, ist ebenfalls nicht ganz klar.

Vielleicht hat man auch hier an die Bücherkäufer gedacht, die genauso lesen und zuhören wie sie Auto fahren: immer auf der Suche nach Abkürzungen. Die dürften dann auch mit Ingo Schulzes „Simple Stories“ nicht so gut zurechtkommen. Dieser kunstvolle und gar nicht so einfach zu lesende „Provinzroman“, der aus knapp dreißig Episodenkapiteln zusammengesetzt ist, handelt von ganz normalen Menschen, die auf ihrem Weg durch den ostdeutschen Alltag immer mal wieder eine falsche Abbiegung nehmen und eigentlich nie dort ankommen, wo sie eigentlich hinwollten. Es gibt keine Abkürzungen im Leben, stellen sie fest – und in der Literatur gibt es sie nun mal auch nicht: Die „Simplen Stories“ erscheinen jetzt auf sieben Kassetten, ungekürzt, wie alles beim Steinbach Verlag. Insgesamt sind das mehr als zehn Stunden. Man braucht also Zeit dafür. Und ohne sehr genau dabei hinzuhören, geht es auch nicht: Dieses Hörbuch muß man sozusagen lesen. Kolja Mensing

Monika Maron: „Pawels Briefe“. voices editionen, Hamburg 1999, 3 MC, 50 DM Zoé Jenny: „Das Blütenstaubzimmer“. voices editionen, Hamburg 1998, 2 MC, 39,90 DM Martin Walser: „Ein springender Brunnen“. HörVerlag, München 1999, 4 MC, 62 DM Ingo Schulze: „Simple Stories“. Steinbach, Schwäbisch Hall 1999, 7 MC, 89,80 DM