■ Seit Bündnis 90/Die Grünen in Bonn mitregieren, wird immer rätselhafter, wo sie eigentlich ihr künftiges Wählerpotential sehen
: Der Anfang vom Ende?

Die Nato-Angriffe gegen Jugoslawien überragen derzeit alle anderen politischen Fragen an Bedeutung. Etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung hat sie von Anfang an für falsch gehalten. Im Bundestag sehen sich diese Gegner des Luftkrieges spätestens seit dem Bielefelder Parteitag von Bündnis 90/Die Grünen auf die PDS verwiesen, mit der sich viele Nato-Kritiker aber in anderen Bereichen nicht identifizieren mögen. Hinsichtlich der Spielregeln des parlamentarischen Systems ist das Repräsentationsdefizit bedenklich. Für die Grünen allerdings kann es den Anfang vom Ende bedeuten.

Es gibt keinen Anspruch selbst eines noch so großen Teils der Bevölkerung darauf, mit einer bestimmten Position im Bundestag vertreten zu sein. Befürworter der Todesstrafe haben sich mit ihrer Forderung nie Gehör verschaffen können. Aber es gibt einen Anspruch darauf zu wissen, ob die eigene Haltung zu einer Frage von einer oder mehreren Parteien geteilt wird, die sich zur Wahl stellen.

Die banale Selbstverständlichkeit, daß Programme und politische Ziele veränderten Realitäten angepaßt werden müssen und Koalitionen auch Kompromisse erfordern, ist kein Freibrief für inhaltliche Beliebigkeit.

Die „Verpflichtung auf Gewaltverzicht“ wurde im Kurzprogramm der Grünen für die Bundestagswahlen als Grundsatz der Außenpolitik definiert. Deutschland dürfe und müsse eigene Vorschläge und einseitige Vorleistungen zur Entmilitarisierung und Zivilisierung der Außenpolitik machen, heißt es in dem Papier weiter. Von dort bis zur Billigung von Luftangriffen ohne UN-Mandat führt kein Weg. Bündnis 90/Die Grünen haben in Bielefeld einen Paradigmenwechsel beschlossen. Wer sie auch ihrer außenpolitischen Prinzipien wegen gewählt hat, sieht sich betrogen.

Die Glaubwürdigkeit einer Partei ist nicht gleichzusetzen mit der individuellen Glaubwürdigkeit ihrer Repräsentanten. Es gibt keinen Anlaß, an den häufig geschilderten Gewissensqualen führender bündnisgrüner Politikerinnen und Politiker zu zweifeln. Sicher wäre allen Beteiligten Frieden lieber als Krieg und die weltweite Beachtung der Menschenrechte lieber als deren Verletzung. Na und? Das ist menschlich sympathisch, aber noch kein Programm. Auch Helmut Kohl und Klaus Kinkel läßt sich schwerlich unterstellen, sie sehnten sich nach Pulverdampf.

Eine Partei wird gewählt, weil sie sich von anderen Parteien unterscheidet und weil Teile der Bevölkerung sich von ihr mit den eigenen Ansichten und Interessen am besten vertreten fühlen. Seit Bündnis 90/Die Grünen in Bonn mitregieren, wird immer rätselhafter, wo sie eigentlich ihr künftiges Wählerpotential sehen. Früher wurden sie mit dem Thema Umweltschutz identifiziert, einem Jahrhundertthema, das kontinuerlich an Bedeutung gewann. Aber diesen Bereich hat die Partei ohne Not inzwischen selbst zu einem – wenn auch wichtigen – Randthema erklärt. Die Konkurrenz dankt.

In Westdeutschland sind die Grünen seinerzeit vor allem aus der Friedensbewegung, der Frauenbewegung und der Anti-Atom-Bewegung entstanden. Seither hat sich nicht nur die Partei verändert – auch an denjenigen, die einst die außerparlamentarischen Bewegungen trugen, sind die letzten zwanzig Jahre nicht spurlos vorbeigegangen. Für die Zukunft der Grünen geht es um die Frage, ob die Schnittmenge zwischen ihrer traditionellen Klientel und der Regierungspolitik noch groß genug ist, um Stimmen zu ernten. Eine Partei, die befürchten muß, an der Fünfprozenthürde zu scheitern, kann es sich nicht leisten, auf einen Teil ihres Stammwählerpotentials zu verzichten.

Viele dieser Stammwähler und Stammwählerinnen haben bisher wenig Grund, sich über die so lange ersehnte Regierungsbeteiligung zu freuen. Der Zeitpunkt des Atomausstiegs wird inzwischen vor allem unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten diskutiert. Die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts wäre in der nun vorliegenden Form auch mit der FDP möglich gewesen. Selbst in einer intern zu regelnden Frage wie der Geschlechterquotierung der Kabinettsposten warf die Partei ein altes Prinzip einfach über Bord. Ja, aber bekommt dafür nicht demnächst eine Frau den Posten einer EU-Kommissarin? Abwarten.

Je kleiner eine Partei ist, desto genauer muß ihre Klientel umrissen sein. In der vielbeschworenen und umworbenen politischen Mitte ist es jetzt schon allzu eng – da drängen sich bereits die Elefanten. Von freundlichem Lob für Bundesaußenminister Joschka Fischer sollten sich Bündnis 90/Die Grünen nicht täuschen lassen: Die traditionell hohen Popularitätswerte für deutsche Außenminister sind deren Parteien bisher niemals zugute gekommen. Einige der führenden Köpfe bei Bündnis 90/Die Grünen meinen, die Partei müsse sich dann eben neue Wählerschichten erschließen. Auf diesen klugen Einfall sind allerdings auch schon andere gekommen und dabei auf gewisse Schwierigkeiten gestoßen. Vielleicht fragt mal jemand bei der FDP nach, wo die liegen.

Um überhaupt für neue Gruppen attraktiv sein zu können, muß eine Partei neben einem überzeugenden Programm auch Aufbruchstimmung, Freude an der Politik und Lust am Gestalten vermitteln. Davon kann bei den Grünen nun wirklich keine Rede sein. Ihre Spitzenpolitiker betonen vor allem, wie schwer das Joch der Verantwortung auf ihnen lastet. Müde Frustration und die widerwillige Akzeptanz von Sachzwängen haben in den letzten Jahren allzuoft die Atmosphäre auf Parteitagen geprägt. Nun haben die Delegierten in Bielefeld ein weiteres Mal einem Kompromiß zugestimmt, der eigentlich niemanden so recht zufriedenstellt und vor allem dem Wunsch nach Fortbestand der Koalition geschuldet war.

Aus dem Schneider ist die Partei damit dennoch nicht. Was ist denn, wenn's mit dem Luftsieg nicht klappt und die Nato doch Bodentruppen in das Kosovo schikken will? Werden die Grünen dann erneut einen Sonderparteitag abhalten? Wird dort beschlossen, daß sich die eindeutige Absage an den Bodenkrieg angesichts völlig neuer, vollkommen unvorhersehbarer Umstände leider nicht mehr aufrechterhalten läßt und jetzt Schützengräben für den Frieden ausgehoben werden müssen? Wahrscheinlich nicht. Die Unionsparteien sind verläßlicher als die Grünen, und auch sie haben sich unmißverständlich gegen die Beteiligung der Bundeswehr an einem Bodenkrieg ausgesprochen. Eine so riskante Entscheidung kann eine Bundesregierung nicht mit knapper parlamentarischer Mehrheit treffen. CDU und CSU retten den Grünen das letzte Spurenelement ihres Antimilitarismus. Manchmal kann Politik ganz schön lustig sein. Meistens ist sie es nicht. Bettina Gaus

Die Union rettet den Grünen das letzte Spurenelement des Antimilitarismus

Die Grünen haben in Bielefeld einen Paradigmenwechsel beschlossen