Mord im Stil der Terrortage

■ In Guatemala wird der Oppositionspolitiker Roberto González auf offener Straße erschossen – kurz vor einer Volksabstimmung

San Salvador (taz) – Guatemala wird seine Vergangenheit nicht los. „Noch immer ist es ein Verbrechen, links zu sein“, sagt Juan Polanco, Generalsekretär der linken Oppositionspartei „Demokratische Front Neues Guatemala“ (FDNG). Er bezieht sich damit auf den Mord an seinem Stellvertreter Roberto González. Der war am Donnerstag, drei Tage vor der Volksabstimmung über eine umfassende Verfassungsreform, auf offener Straße erschossen worden.

Nach Darstellung seiner Frau Elizabeth wurde González von einer Gruppe schwerbewaffneter Männer erwartet, als er morgens um 8.30 Uhr zusammen mit zehn Parteifreunden sein Haus in einem Wohnviertel von Guatemala-Stadt verließ. Die Todesschwadron habe ohne Vorwarnung das Feuer eröffnet. González wurde von acht Kugeln getroffen und starb nach seiner Einlieferung in ein Krankenhaus. Bei dem Überfall wurde zudem eine Nachbarin verletzt. González hatte in den Tagen vor der Mord mehrfach telefonische Todesdrohungen erhalten.

In der Linken, in Kirchenkreisen und bei Menschenrechtsgruppen zweifelt niemand daran, daß es sich bei dem Attentat um einen politischen Mord handelt und daß dieser in unmittelbarem Zusammenhang mit der Volksabstimmung vom Sonntag steht. Die Verfassungsreform, um die es geht, ist ein Ergebnis des Friedensvertrags vom Dezember 1996, mit dem die konservative Regierung unter Alvaro Arzú und die Guerilla der „National-revolutionären Einheit Guatemalas“ (URNG) einen über dreißigjährigen Bürgerkrieg mit mehr als 200.000 Toten beendet hatten.

Jetzt soll das Volk darüber entscheiden, ob die indianische Bevölkerung – immerhin rund sechzig Prozent der rund elf Millionen Guatemalteken – mehr Rechte bekommt. Unter anderem geht es um die Anerkennung der indigenen Kultur, ihrer Sprachen und ihrer traditionellen Gerichtsbarkeit.

Die Militärs sollen dagegen in ihrer Macht beschnitten werden. So soll die Präsidentengarde aufgelöst werden, die mit dem Mord an Weihbischof Juan Gerardi Ende April vergangenen Jahres in Verbindung gebracht wird. Für die innere Sicherheit soll in Zukunft ausschließlich eine dem Innenministerium unterstellte Polizei zuständig sein. Die FDNG hatte sich in den vergangenen Wochen vehement für ein Ja zu diesen Verfassungsänderungen eingesetzt. Der Unternehmerverband Cacif und die rechtsextreme „Liga für das Vaterland“ hatten gegen die Verfassungsreform Stimmung gemacht.

Die FDNG-Parlamentsabgeordnete Nineth Montenegro befürchet nun, daß der Mord an González der Auftakt „für eine blutige Volksabstimmung“ sein könnte. Der Präsident der katholischen Bischofskonferenz von Guatemala, Victor Hugo Martinez, geht sogar noch weiter: Er glaubt, daß mit dem Mord nicht nur die morgige Volksabstimmung, sondern letztlich auch die Präsidentschaftswahl vom November beeinflußt werden soll. Die FDNG will dabei mit der URNG einen gemeinsamen Kandidaten ins Rennen schicken. Der Mord an Gonzalez, so Bischof Martinez, „weckt Gelüste bei all denen, die eine Demokratisierung in Guatemala aufhalten wollen“.

Ähnlich bewertet Julio Revolorio von der regierungsunabhängigen „Kommission für Menschenrechte in Guatemala“ das Attentat. Ein politischer Mord vor Wahlen oder Volksabstimmungen sei in der Vergangenheit stets der Auftakt zu einer „Hexenjagd gewesen.

Und es geht gerade so weiter: Julio Arango, der staatliche Menschenrechtsbeauftragte, gab am Nachmittag bekannt, daß er in den vergangenen beiden Tagen mindestens 40 telefonische Todesdrohungen erhalten habe. Und Jorge Soto, Generalsekretär der URNG, berichtete von massiven Drohungen gegen URNG-Vertreter in der nördlichen Provinz Cobán. Von der Regierung jedoch lag bis zum Abend keine Stellungnahme zum Mord an González vor.

Toni Keppeler