Die Riester-Front bröckelt

Ein SPD-Papier schlägt die Entschärfung des 630-Mark-Gesetzes vor: Wer nicht mehr als dreißig Stunden im Monat jobbt, soll keine Sozialabgaben zahlen  ■   Von Barbara Dribbusch

Berlin (taz) – Die Führung der SPD-Bundestagsfraktion will das 630-Mark-Gesetz entschärfen. Nach einem internen Papier wären Zeitungsboten, Wochenendaushilfen in der Gastronomie und viele Putzfrauen künftig von der Sozialversicherungspflicht ausgenommen.

Laut Bild sieht das Papier vor, daß Minijobs mit einem Verdienst von bis zu 630Mark monatlich dann sozialversicherungsfrei bleiben sollen, wenn die Arbeitszeit 30 Stunden im Monat nicht überschreitet. Bisher schon gilt die Sonderregelung, daß „kurzfristige“ Beschäftigungen sozialversicherungsfrei sind, wenn sie höchstens an 50 Tagen im Jahr ausgeübt werden. Wird diese Regelung jetzt auf „kurzzeitige regelmäßige“ Beschäftigungen mit einem entsprechenden Kontingent an Wochenstunden erweitert, bräuchten die Arbeitgeber für Zeitungszusteller, Wochenendaushilfen und Putzfrauen, die im Monat nicht länger als 30 Stunden jobben, keine Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten.

In dem SPD-Papier werden weitere steuerrechtliche Erleichterungen genannt: Rentnern und anderen Geringverdienern, deren Gesamteinkünfte inklusive 630-Mark-Job unter dem steuerfreien Existenzminimum (13.000 Mark im Jahr) liegen, soll vom geringfügigen Einkommen nicht mehr monatlich Lohnsteuer abgezogen werden, die sie ohnehin am Ende des Jahres wiederbekämen. Sie erhielten ihren Verdienst dann vielmehr steuerfrei ausgezahlt.

Ein Pressesprecher der SPD-Fraktion bestätigte gestern die Existenz des Papiers. Die Vorschläge seien Arbeitsminister Walter Riester und Kanzleramtsminister Bodo Hombach bekannt und sollten in den nächsten Wochen mit Finanz- und Wirtschaftspolitikern der SPD-Fraktion diskutiert werden.

Derzeit tagt auch eine Expertenkommission, um über Nachbesserungen des Gesetzes zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit nachzudenken. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat im Bundestag schon mögliche Entschärfungen des Gesetzes angesprochen. Danach müßten Unternehmer, bei deren Auftragnehmern Scheinselbständigkeit festgestellt wird, die Sozialversicherungsbeiträge nicht mehr rückwirkend zahlen, sondern erst ab Feststellung der Scheinselbständigkeit. Damit wäre vielen Unternehmen die Angst vor hohen Nachzahlungen genommen.

Auch für die sogenannten arbeitnehmerähnlichen Selbständigen wird über Erleichterungen nachgedacht. Arbeitnehmerähnliche Selbständige sind Erwerbstätige, die nur für einen Auftraggeber und ohne eigene Angestellten tätig sind. Sie müssen nach dem neuen Gesetz Beiträge in die Rentenkassen zahlen. Für diese Betroffenen werde geprüft, ob sie nicht erst dann Beiträge entrichten müssen, wenn sie länger als drei oder fünf Jahre für nur einen Auftraggeber arbeiten, hatte Schröder erklärt. Mit einer solchen Fünfjahresfrist wären viele Existenzgründer, aber auch viele Honorarkräfte und Werkvertragsnehmer aus dem Schneider. Die Expertenkommission, die sich mit den Auswirkungen des Gesetzes zur Scheinselbständigkeit befaßt, soll ihre Ergebnisse im Juli vorlegen.

Mit den vorgeschlagenen Nachbesserungen soll auch der Streit innerhalb der SPD-Fraktion um die Auswirkungen der Sozialgesetze befriedet werden. Denn in der Regierung ringen zwei Lager um die Zukunft des Sozialstaates. Ein Lager schart sich um Arbeitsminister Riester, der den Sozialstaat gegen jeden „Rückbau“ verteidigen will. Riesters Kontrahenten umgeben Kanzleramtsminister Hombach, der die Sozialgesetze eher entschärfen möchte und zuletzt eine umstrittene Studie über die Subventionierung von Niedriglöhnen anleierte. „Jeden Tag wird eine andere Sau durchs Dorf getrieben“, klagt ein Gewerkschafter, „das macht in der Öffentlichkeit einen miesen Eindruck.“

In der Tat. Die Subventionierung von Niedriglöhnen kochte als Thema hoch, nachdem das von Riester verteidigte neue Gesetz über die 630-Mark-Jobs eine Welle der Empörung unter Kneipiers, Einzelhändlern und geringfügig Beschäftigten ausgelöst hatte. Als „Sozialmafia“ wurden Riester und Co. vom Spiegel beschimpft, während die von Hombach angeleierten Vorschläge zur Lohnsubventionierung als Schröders neuer geheimer „Plan“ gegen die Arbeitslosigkeit gefeiert wurden.

Doch die von Hombach favorisierte Studie über Niedriglöhne der Sozialwissenschaftler Wolfgang Streeck und Rolf Heinze zeigte schlagartig, daß auch dieses Lager keine besseren Ideen hat. Streeck und Heinze schlagen vor, Billigjobs flächendeckend von Sozialversicherungsbeiträgen zu befreien und damit für Beschäftigte und Arbeitgeber attraktiver zu machen. Das Problem: Eine solche Bezuschussung würde einen zweistelligen Milliardenbetrag kosten und riesige Mitnahmeeffekte produzieren. Woher das Geld kommen soll, ist nirgends durchgerechnet.

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