„Die Grünen sind nicht gefährdet“

■  Manfred Güllner, Chef des Berliner Meinungsforschungsinstituts Forsa, zum Ausgang des Grünen-Parteitags. Ein Sieg der Befürworter eines unbefristeten Angriffsstopps hätte Verluste bei der realpolitischen Wählerschaft zur Folge gehabt

taz: Herr Güllner, das Ergebnis des grünen Sonderparteitages ist von den Medien weitgehend positiv aufgenommen worden. Werden das auch die Wähler honorieren? Manfred Güllner: Ich denke ja. Wir wissen, daß die Mehrheit der Grünen-Wähler ähnlich wie die Gesamtheit der Wähler den Einsatz der Nato und den der Bundeswehr gebilligt hat.

Das ist aber nicht das Bild, das der Parteitag vermittelte.

Es gibt seit jeher den Unterschied zwischen dem, was ein Teil der grünen Funktionsträger äußert und dem, was die Mehrheit ihrer Wähler eigentlich von der Partei erwartet. Die starke Minderheit auf dem Parteitag, die für ein sofortiges Ende der Luftangriffe war, korrespondiert eben nicht mit den von uns ermittelten Haltungen der grünen Wählerschaft zum Kosovo-Krieg.

Heißt das im Umkehrschluß: Je schneller die Pazifisten die Partei verlassen, um so besser sind die Wahlchancen?

Das hängt nicht automatisch miteinander zusammen. Die Grünen drückt eher ein strukturelles Problem. Ihre Anziehungskraft für junge Wähler, also der Gruppe der unter 30jährigen, schwindet. Die spannende Frage für die Wahl- und Meinungsforscher ist: Werden die Grünen zur Kohortenpartei, die schließlich mit ihrer von Wahl zu Wahl älter werdenden Klientel ausstirbt?

Der Krieg ist aber ein einschneidendes Ereignis.

Das ist zwar richtig. Doch die Wahlentscheidungen hängen in der Regel nicht von einem Thema ab. Historische Beispiele zeigen, daß selbst stark emotionalisierte Debatten nicht unbedingt wahlentscheidend sein müssen. Als Konrad Adenauer für die Union 1957 die Bundestagswahlen mit absoluter Mehrheit gewann, gelang ihm dies, obwohl er gegen die Mehrheit der Bevölkerung in Westdeutschland die Wiederbewaffnung durchgesetzt hatte.

Was wäre geschehen, hätten sich die Befürworter eines unbefristeten Angriffsstopps durchgesetzt?

Das hätte die Grünen existentiell gefährdet und zu deutlichen Verlusten bei der realpolitisch eingestellten Wählerschaft geführt.

Kann die PDS die Enttäuschten hinüberziehen?

Danach sieht es nicht aus. Die PDS kann bundesweit auf keine nennenswerten Zuwächse verweisen, auch nicht durch ihre Opposition gegen den Kosovo-Krieg.

Am 13. Juni sind Europawahlen. Müssen die Grünen nicht mit erheblichen Verlusten rechnen?

Nicht wegen des Krieges allein, bedeutsamer sind eher ihre strukturellen Probleme. Ich sehe aber nicht, daß die Grünen bei den Europawahlen existentiell gefährdet wären. Gut, zehn Prozent wie bei der letzten Europawahl sind aller Voraussicht nach nicht drin. Selbst bei entsprechend geringer Wahlbeteiligung kämen die Grünen immer noch auf deutlich über fünf Prozent.

Die Grünen haben immer dann verloren, wenn sie, wie beispielsweise beim 5-Mark-Benzinbeschluß, fundamentale Positionen bezogen.

Klar ist, daß die Verbürgerlichung den Grünen geholfen hat. Selbst die Veränderungen im Habitus einiger Funktionsträger ...

... die Anzüge von Fischer und Trittin also.

Es hört sich platt an, aber auch dadurch werden letztlich Wirkungen erzielt. Die habituellenVeränderungen haben der Partei natürlich auch geholfen, bei ihrer realpolitischen Anhängerschaft ihre Akzeptanz zu erhöhen.

Viele haben Fischer vorgehalten, als Außenminister könne er für die Grünen am wenigsten erreichen.

An diesem Punkt ist eine interessante Wandlung zu beobachten. Nicht Trittin als Träger des klassischen grünen Themas, der Umweltpolitik, erzielt die höchsten Popularitätswerte, sondern Joschka Fischer. Selbst viele Wähler, die ihm anfangs das Amt nicht zutrauten, äußern sich nun positiv. Interview: Severin Weiland