Austritt – Eintritt

Der Beschluß des Grünen-Sonderparteitags in Bielefeld bewegt den einen zum Parteiaustritt und den anderen zum Parteieintritt. Für Norbert Hackbusch ist nun das Maß voll. Bei einer Partei, die Krieg führt, will er nicht bleiben. Henning Schluß glaubt hingegen, daß nur die Bündnisgrünen dazu beitragen können, eine neue Struktur für die UNO aufzubauen. Die beiden Männer porträtiert  ■ Heike Haarhoff

Auf dem „Feuerschiff“ am Hamburger Hafenanleger Baumwall lagen die Dinge noch eindeutig. Die Bedienung balancierte zwei Milchkaffee über das sanft schaukelnde Bordrestaurant, und der Mann, der eines der Getränke in Empfang nahm, gegen die Sonne blinzelte und sich behaglich zurücklehnte, machte keinen Hehl daraus, daß er seine Privilegien zu schätzen weiß: Ein strahlend klarer Tag, wie als Beweis dafür, daß Hamburg und Sommer keine unvereinbaren Gegensätze sind, ein Blick über die Containerriesen auf der Elbe, der für manches entschädigt. Vor allem aber seine Zuversicht, daß Hamburg ein Ort sei, an dem „ein Leben ohne die grüne Partei“, wie Norbert Hackbusch es ausdrückte, nicht zwangsläufig einem unverwindbaren Schicksalsschlag gleichkäme: „Wenn du dagegen in Verden an der Aller wohnst“, sagt er mit echtem Mitleid in der Stimme, „bleibt wahrscheinlich nichts, als trotz allem bei den Grünen zu bleiben, wenn du politisch irgend etwas bewegen willst.“

Genau eine Woche ist diese Begegnung her. Sieben Tage später – es ist Donnerstag abend in Bielefeld, und der Sonderparteitag der Grünen ist soeben mehrheitlich dafür eingetreten, die kriegführende Außenpolitik ihres Ministers Joschka Fischer mit kleinen Einschränkungen zu billigen – steht derselbe Mann wie ausgewechselt und wie neben sich in einer Ecke der dichtgefüllten Seidenstickerhalle.

„In Bielefeld wird er unter Streß stehen“, hatte Hannah, seine 16jährige Tochter, schon eine Woche zuvor prophezeit. „Es war schon immer so, daß Hacki sich geärgert hat, wenn die Realos was gegen ihn beschlossen haben.“

Bei innergrünen Streitereien um Arbeits-, Ausländer- und Sozialpolitik, die der 44jährige als Abgeordneter der Hamburger Bürgerschaft seit 1993 austrägt, war das so. Und auch bei den Höhen und Tiefen während der Koalitionsgespräche mit der Hamburger SPD, die mit Hackbusch als einem geduldigen Verhandlungsführer mit großem Einfluß auf die Linke schließlich 1997 doch noch zum ersten rot-grünen Regierungsbündnis des Stadtstaates führten.

Als der grüne Außenminister Joschka Fischer zu einer kleinen Dankesrede anhebt, mag Hackbusch nicht mehr an sich halten. „Buuhh!“ entfährt es ihm. Er prescht in Richtung Bühne. Kurz vor den Ordnern, die die grüne Prominenz nach der morgendlichen Farbbeutelattacke abschirmen, hält er inne. „Nein, ich mache jetzt keine Dummheiten.“

Draußen vor der Seidenstickerhalle, in der Hackbusch gerade noch mal seine Empörung zu bändigen verstand, steht seit dem frühen Donnerstagmorgen der Berliner Henning Schluß. Er wirbt, als gelte es, Spenden für ein Projekt in Not zu sammeln, mit Flugblättern im Sonnenblumenformat für seine Initiative „Wir nehmen Partei für Bündnis 90/ Die Grünen“.

Henning Schluß hatte seine Entscheidung, nach Bielefeld zu fahren, bis zum letzten Moment hinausgezögert. „Ich habe ja auch soviel zu tun.“ In einem Jahr will der 30jährige Erziehungswissenschaftler seine Doktorarbeit über „Transformationsprozesse in Lehrplänen an Schulen in der BRD und der DDR“ an der Humboldt-Universität abgeben. Dann gab er sich aber doch einen Ruck. „Ich fahre hin“, sagte er am Mittwoch abend am Telefon. Und, als handele es sich um eine Nebensächlichkeit: „Ich bin dann übrigens schon grünes Mitglied“, eingetreten am Abend des 12. Mai – via Internet.

Eine geradezu provozierende Form des Beitritts, verglichen mit dem Ziel, das er und bundesweit mehr als 30 andere Neu-Grünenmitglieder verfolgen: die Partei vor einem Bruch und damit auch die rot-grüne Bundesregierung vor einer Krise zu bewahren. „Uns schien die Gefahr, daß die Koalition in Bonn platzt, real genug“, sagt Henning Schluß. „Der Streit über den Kosovo ist richtig, aber er muß innerhalb der Grünen ausgetragen werden.“ Deswegen steht er, der „immer die Grünen gewählt“ hat, aber „erst mal nicht auf den Gedanken gekommen wäre, aktives Parteimitglied zu werden“, nun am Eingang der Halle.

„Ich werde nicht aus dem siebten Himmel herunterfallen. Es ist nicht so, daß es mir das Herz zerreißt, wenn ich austrete“, hatte Norbert Hackbusch auf dem „Feuerschiff“ gesagt, und es klang nicht, als müsse er sich selbst Mut machen. „Die Partei ist halt nur ein Instrument, Politik zu machen.“ Und die Entscheidung, ihr nach 15 Jahren Mitgliedschaft den Rücken zu kehren, war bei „Hacki“, wie ihn mit Ausnahme seines Personalausweises alle nennen, längst gefallen. Erwogen und wieder verworfen vor Monaten, „als es vielen“ in der neuen Bonner Regierung „nur noch um ausgeglichene Haushalte statt einer sozialen Arbeits- und Steuerpolitik“ ging. Herangereift dann in den Tagen und Wochen nach dem 24. März, in jener Nacht, „die den Ausschlag gab“, da die Nato mit Zustimmung der grünen Regierungsminister die ersten Bomben auf Jugoslawien abwarf. „Jeder Grüne trägt eine Verantwortung dafür.“

„Man muß ja nicht so tun, als dürfe es nur eine Meinung geben“, hatte indes Henning Schluß in seinem Berliner Uni-Büro überlegt. Anders als viele andere in seiner Initiative „fand ich die Bombardierung von Anfang an falsch und auch jetzt noch“. Aber ohne eine politische Lösung den begonnenen Krieg bedingungslos einstellen? „Miloevic hätte nur das Gefühl, Sieger zu sein.“ Und deswegen müsse jetzt „an einer Stärkung von UNO und OSZE gearbeitet werden, was unter Kohl jahrelang versäumt wurde“. Wer, wenn nicht die Grünen, solle das leisten? Er redet sich in Fahrt, auch im Interesse „der ganzen anderen Konflikte auf dieser Erde, für die es noch nicht zu spät ist.“ Er macht eine Pause. „Daß ausgerechnet ich jetzt so was sage.“

Vor einigen Jahren noch hätte Henning Schluß jedem, der sagte, er werde einmal Mitglied einer kriegführenden Partei, einen Vogel gezeigt. Denn erstens war „in eine Partei reinzugehen im Osten nicht so populär“, und außerdem fühlte sich der junge Mann aus Dessau in Thüringen in den 80er Jahren ohnehin mehr zur Kirche hingezogen. Mit ihrer Hilfe gelang es ihm, die Leitung eines Heims für geistig Behinderte im Harz davon zu überzeugen, daß sie ihn 1988 per Hilfsarbeitervertrag als ersten Zivildienstleistenden der DDR einstellte – die politisch strikt untersagte Alternative zum Wehrdienst kam einer kleinen Revolution gleich. „Schwerter zu Pflugscharen“, demonstrierte er damals; „die Leute, die mir die Transparente zertreten haben, spielen sich heute als die großen Pazifisten in der PDS auf“.

„Die Partei muß sich positionieren“, hat Norbert Hackbusch gefordert, aber sie hat es nicht in seinem Sinn getan, und deshalb bleibt nur „die Konsequenz zu gehen – in den nächsten Tagen und in Absprache mit meinen Hamburger Freunden“. So schlicht hat er es am späten Donnerstagabend beim Treffen der mehr als 200 frustrierten Noch-Grünen verkündet. Und sich dann doch erst mal ein Bier geholt. Parteiaustritt.

„In gewissen Weise ist das auch das Ende seiner politischen Karriere“, sagt seine Tochter Hannah, die es wieder auf den Punkt brachte. Trotzdem, der Beschluß steht: Austritt. Nicht weil er überzeugter Pazifist wäre, „ich bin überhaupt gar kein Pazifist“, ruft er erschrokken. Für El Salvador hat er seinerzeit sogar Geld für Waffen gesammelt, „weil es da um staatliche Repression ging“. Und im Kosovo? „Da handelt es sich um zwei sich einander bekämpfende Nationalismen“ und vor allem „um einen Krieg der Nato“, der er – die zehn Jahre in den Siebzigern bei der Gruppe Internationaler Marxisten haben ihn auch sprachlich geprägt – „als Machtinstrument der reichen Industrienationen nicht über den Weg“ traut. Außerdem: „Fischer hat uns auch heute wieder nicht sagen können, wohin denn das Bomben führen wird.“

Viele Grüne machen an diesem Donnerstag morgen neugierig Halt an Henning Schluß' Stand. Zu heftigem Streit kommt es aber nicht. Nicht hier. Freundlich wird die Initiative beäugt. Einige Meter entfernt stapft soeben Christian Ströbele erregt zur Bühne. „Leute wie der argumentieren anders“, sagt Henning Schluß, und das macht die Diskussion mit ihnen so schwer. „Ich habe keine Erfahrungen mit der RAF und dem bundesrepublikanischen Staat als Verbrecherstaat.“ Hat er deshalb weniger Bauchschmerzen wegen der Rolle der Nato? „Ich habe für die deutsche Einheit keine Sympathien gehegt“, sagt er dann. Als sich 1989 die Rufe von „Wir sind das Volk!“ zu „Wir sind ein Volk!“ wandelten, wandte er sich wieder seinem Studium zu. Das Neue Forum, „das ich mitgegründet habe“, verlief später im Sand, „und ich bin dann ja auch nach Berlin gezogen“.

Daß er sein Landtagsmandat behalten wird, ist für Norbert Hackbusch eine Selbstverständlichkeit: „Die Leute haben uns nicht gewählt, damit wir Krieg führen.“ Im Gegenteil: „Wir werden vermutlich eine eigene Fraktion in der Bürgerschaft, unabhängig von den Grünen, gründen“, sagt er am Donnerstag abend. Die rot-grüne Regierungsmehrheit in Hamburg ist bei derzeit 24 grünen Mitgliedern nicht gefährdet, sollten sich fünf oder sechs abspalten. „Aber das“, sagt er wütend, „wäre ja wohl ohnehin das allerlächerlichste Argument.“

Denn bei „der Frage um Krieg oder Frieden geht es um Grundsätze“. Grundsätze wie den des Antimilitarismus, der immer noch im grünen Parteiprogramm steht. Grundsätze der eigenen Glaubwürdigkeit, aber auch Grundsätze einer politischen Sozialisation: „Seit meiner Schülerzeit bin ich politisch aktiv: Vietnam, Anti-AKW, Friedensbewegung, Gewerkschaft“, ließ er über seine Person ins Handbuch der Hamburgischen Bürgerschaft dort eintragen, wo andere Abgeordnete ausführlichst ihre Studienabschlüsse und Familienverhältnisse auflisten. Daß er der Leiter der Dokumentation des größten Hamburger Verlagshauses ist, erfährt man dagegen erst, wenn man dreimal nachfragt, was er denn als „Mitarbeiter bei Gruner + Jahr“ so macht; die Karriere und die eigenen Erfolge lieber kleinreden und im Hintergrund trotzdem die Fäden in der Hand behalten.

Ach, die Fäden. Seufzend lauscht Norbert Hackbusch in Bielefeld der Rede von Vorstandssprecherin Antje Radcke, die wieder einmal von ihrer“Zerrissenheit“ spricht. Unnötig zu betonen, daß er sich mehr von der Hamburger Linken erwartet hat, die er erst vor wenigen Jahren als Kandidatin der Linken für das Amt der Hamburger Landesparteisprecherin durchsetzte. Und von der er glaube, daß sie, die damals noch Unbekannte, es mit der bundesweit als Star gehandelten Reala Krista Sager aufnehmen könnte. Bei dem Ausdruck „politischer Mentor“ muß er lachen. „Das klingt so erziehungsdiktatorisch.“ Er möchte es anders nennen: „Ich habe mich für Antje eingesetzt, ich fand sie sehr authentisch.“ Und heute? Da sagt er nur: „Der Kontakt ist ein wenig abgerissen.“

Von der Bühne wird das Ergebnis verkündet: 444 Stimmen für einen befristeten Bombenstopp, 318 Stimmen für einen ohne Wenn und Aber. Der Saal leert sich schnell. Auch Henning Schluß packt seine Sachen und fährt nach Hause. Morgen ist wieder Uni.

„Die Partei kann sich aus dem Krieg nicht rausschummeln“, war Hackbusch auf dem „Feuerschiff“ noch überzeugt. Und wenn doch? Wenn sie, wie zur Gewissensberuhigung, ein bißchen Feuerpause fordert und ansonsten den Regierungskurs unterstützt? „Enttäuschung ist die falsche Kategorie.“ Seine Stimme hob an. Der Wind an Deck war stärker geworden.

„Ich bin gar kein Pazifist. Im Kosovo geht es nicht um staatliche Repression wie damals in El Salvador, sondern um zwei sich einander bekämpfende Nationalismen.“

„Ich war von Anfang an gegen das Bombardement. Aber Slododan Milosevic hätte das Gefühl, Sieger zu sein, wenn wir es jetzt bedingungslos einstellen.“