Kommentar
: Die Nato bombt sich ins Aus

■ Im Namen der Menschenrechte 100 Zivilisten getötet?

Wer präsentiert die besseren Opfer? Slobodan Miloevic oder Rudolf Scharping? Kein Zweifel, Scharping ist der Verlierer in der Propagandaschlacht. Wenn er vor die Kameras tritt, über den angeblichen Völkermord im Kosovo berichtet, von Massenvergewaltigungen und Massakern, dann fehlt eines – das bewegte und damit auch das bewegende Bild. Was haftenbleibt, ist dagegen sein wächsernes Gesicht, seine gebrochene Stimme. Es ist die Haltung eines Menschen, der bei ganz, ganz schlimmem Tun ertappt wurde. So ist es ja auch. Scharping ist als Kriegsminister für die Abschaffung des seit 1945 in Deutschland gültigen Tötungstabus verantwortlich.

Leichter hat es da sein Gegner Miloevic. Die Berichte der westlichen Medien über die von seiner Armee zu verantwortenden Opfer erreichen seine Untertanen nicht. Die oppositionellen Medien sind ausgeschaltet. Und sollten die einen oder anderen in Belgrad doch wissen, was im Kosovo vor sich geht, fehlt es an der kritischen Masse in der Bevölkerung, die bereit ist zum Widerstand gegen ihren Kriegsherrn.

100 Zivilisten wurden im Kosovo bei einem Nato-Angriff getötet. Noch ist es nur eine Meldung des serbischen Informationszentrums. Aber es gibt wenig Grund zum Mißtrauen. Bislang mußte die Nato jede ihrer von den serbischen Staatsmedien akribisch dokumentierten „Leider, leider“-Aktionen bestätigen. Bei der Vermeldung von Opfern durch Nato-Angriffe setzt Belgrad auf Glaubwürdigkeit. Solange es fast ausschließlich diese Bilder sind, die wir von diesem Krieg sehen, haben sie die Potenz, kriegsentscheidend zu sein. Hätten die Bilder des ersten durch Streubomben zerstörten Dorfes im Kosovo rechtzeitig den Parteitag von Bündnis 90/Die Grünen erreicht, wer weiß, wie er ausgegangen wäre.

Miloevic' einzige Chance, zumindest einen Teilerfolg in diesem Krieg zu erringen, ist eine anhaltende Serie von Fehlschüssen der Nato. Er weiß, daß die Zivilgesellschaften des Westens nur bis zu einem bestimmten Punkt bereit sind, Verletzungen des Tötungtabus in ihrem Namen hinzunehmen. Er setzt auf ihr moralisches Gewissen, das die Nato schon bald zwingen könnte, einen Frieden mit ihm zu schließen. Einen Frieden, der ihn nicht von der Macht verjagt und den Balkan weiter instabil beläßt. Eberhard Seidel