Schwerter zu Jugendwerken

■ Fronten allüberall: Beobachtungen bei einer kulturpolitischen Diskussion mit dem ersten Staatsminister für Kultur, Michael Naumann, und anderen Balkan-Experten

Die drei Worte „Das neue Bremen“ haben sich klein oben rechts auf das Veranstaltungsplakat über dem Podium geschlichen, doch für „Das neue Bremen“ interessiert sich wieder mal kein Schwein. Die SPD-Kulturpolitikerin Carmen Emigholz hat zu einer dieser Debatten namens und über „Kulturpolitik“ in die Galerie Rabus geladen und mit der Zusage des Kultur-Staatsministers Michael Naumann für ein volles Haus gesorgt. Aber alle Politik ist in diesen Wochen Kriegspolitik, und nicht nur in Bremen, sondern überall, wo die Naumänner hinkommen, stellt sich schnell die Bekenntnisfrage: „Herr oder Frau Sowieso, wie halten Sie's denn mit dem Krieg in Jugoslawien? Ach, so? Ich sehe das aber ganz anders.“ Es ist schon ein Wunder, wie viele Balkan-Experten – ja, vor allem Experten – plötzlich aus ihren Kammern kommen.

Eigentlich sollte der „Angestellte des Bundeskanzlers“ Naumann über „Kulturpolitik für das 21. Jahrhundert“ sprechen und vielleicht ein paar Takte zum zweiten Untertitel „Bremen auf dem Weg zur Kulturstadt“ sagen. Doch was macht man da und heuer sowieso mit der Bekenntnisfrage? Man stellt sie gleich zu Anfang und hört mit der Beantwortung gar nicht wieder auf. Michael Naumann, selbstredend, verteidigt den Regierungskurs, als sei er ihr bester Sprecher. Der Freigeist aus dem Bremer Rathaus, Helmut Hafner, einige Redner im Saal – ja, Redner, nur Redner – und das Applausometer halten dagegen. Wenn man nicht nur etwas zu sagen, sondern auch etwas zu entscheiden hätte, dann würde Bremens Kulturpolitik-Szene wohl mit knapper Mehrheit ein Moratorium der Bombardements beschließen.

Und doch trägt auch diese Debatte zur kulturpolitischen Sache bei und – ernüchtert. „Der Kosovo-Krieg ist nach Ansicht meiner russischen Freunde und Kollegen ein kultureller Konflikt“, weiß der Chef des Osteuropa-Instituts an der Bremer Uni, Wolfgang Eichwede. „Sie fürchten eine Spaltung Europas.“ Und: „Wir können nicht mehr sagen: ,Die Politik trennt, die Kultur verbindet.' Diese schönen Worte stimmen nicht mehr.“ Aber andererseits: „Wenn wir es geschafft hätten, rechtzeitig Geld zum Aufbau von Jugendwerken auszugeben, dann wäre das nur ein Zehntel von dem gewesen, was wir jetzt für Bomben ausgeben.“

Da gibt ihm Naumann Recht, teils widerspricht er ihm. Nach Ende des Bosnien-Krieges hätte die Bundesrepublik in die Region Brücken bauen können, doch Ex-Außenminister Kinkel habe die Eröffnung eines Goethe-Instituts in Sarajevo abgelehnt. „Wir erleben einen Zusammenbruch einer Friedens- und Gesprächskultur, für den Serbien verantwortlich ist.“ Also „muß das Brückenbauen warten, bis Frieden herrscht“.

Dann aber werden die Leute in Serbien wohl zuerst andere Brücken brauchen als kulturelle.

Es ist ein immer wieder variierter Jammer. Diese Kulturpolitiker kennen ihre Möglichkeiten und wissen zugleich von ihrer Randständigkeit. Es ist das Sozialarbeitsproblem: Wie beziffert man den Nutzen von Prophylaxe?

„Wir haben von der alten Bundesregierung ein Haushaltsloch von 36 Milliarden Mark geerbt, und so ist meine Aufgabe eine zentral defensive“, charakterisiert der aus dem New Yorker Verlagsgeschäft in die neue Bundesregierung geholte Michael Naumann dann endlich seine eigentliche Arbeit. Klagen gegen die Buchpreisbindung und gegen das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem, die Scheu, im 1,75-Milliarden-Mark-Etat seiner Behörde radikal andere Schwerpunkte zu setzen als auf die Deutsche Welle (600 Millionen Mark), die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (150 Millionen) oder die Kulturförderung nach dem Vertriebenengesetz (42 Millionen) sind Mosaiksteinchen in Naumanns Defensivspiel: „Ich muß mich gegen die Zumutungen der Realtität und des Finanzministers und gegen das bürokratische Brüssel wehren.“

Fronten überall. Und die in Jugoslawien? „Wir werden“, sagt Naumann, „bestimmt noch einen Monat weitermachen müssen, bis Herr Milosevic von seinen Militärs gestürzt wird, weil deren Spielzeug verlorengeht.“

An anderer Stelle hat sich der erste bundesdeutsche Kulturminister einmal sehr kritisch über die Marginalisierung von Kunst- und Musikunterricht geäußert. Ein passendes Thema eigentlich, zumal die Kultursenatorin Bringfriede Kahrs (SPD) auf dem Podium auch Bildungssenatorin ist. Aber welche Rolle spielt unter dem Logo „Das neue Bremen“ schon Kunst- und Musikunterricht? „Wir reflektieren die Entwicklungen der Gesellschaft in der Kulturpolitik nicht ausreichend“, sagt Kahrs. Ach, so schlimm ist es mit Euch doch gar nicht. Christoph Köster