Beaucoup Brillanz

■  Keine Spur von Mayday: Underworld spielten einen perfekten und geschmackvollen Techno-Set in der Columbiahalle

ie Idee ist schlicht, weil naheliegend, doch die Berliner Underworld-Fans sind nicht bereit. Noch nicht. Als Vorgruppe haben sich die britischen Indie-Raver Underworld den DJ Darren Price mitgebracht, der am Samstag abend in der Columbiahalle das Publikum mit seinen simplen und stumpfen Techno-Beats in erste Wallungen bringen soll. Das gelingt aber nicht mal in Ansätzen. Price' Set wird freundlich aufgenommen, warten tun aber alle mit dem Bierbecher in der Hand auf den Hauptact. Eine Rockband ist eine Rockband ist eine Rockband, auch wenn sie Techno macht, Underworld heißt und eigentlich eine ziemliche Sause verspricht. Stichwort „Trainspotting“, Stichwort „Born Slippy“.

Doch drei Jahre sind eine lange Zeit, und die Halbwertszeiten in der Popmusik extrem kurz. In der gut gefüllten, aber nicht ausverkauften Columbiahalle scheinen nämlich nicht unbedingt viele Leute rumzustehen, die anhand von „Trainspotting“ (das Buch, der Film, der Soundtrack) ihre Haltungen und Styles definieren. Keine Hooligan-Raver, keine Spät-Neunziger-Slacker, keine Drogenkids. Eher gepflegte Lederjackentypen und ihre Freundinnen, nette Indietypen mit Hang zum gemäßigten Rave, Leute, die man vor Jahren schon auf OMD-Reunion-Konzerten, präsentiert von Radio Energy, gesichtet zu haben meint. Der Eros-Faktor liegt hier im unteren Bereich, den lassen erst die Sounds von Underworld in die Höhe schnellen.

Mit ihrem aktuellen Album „Beaucoup Fish“ sprechen Underworld hierzulande mittlerweile eine andere und zahlenmäßig viel geringere Klientel an als in England, Teil einer Jugendbewegung kann man damit nicht mehr werden. Es ist ein perfekt designtes House- und Techno-Album: ausgeschlafen, unaufgeregt, freundlich. Dagegen ist auf Alben von Prodigy wirklich Proll-Rock, auf denen von den Chemial Brothers energischer, abgefahrener Big Beat ohne eingebaute Handbremse.

Underworld basteln Tracks, die geschmäcklerisch sind, die sich aber auch bewußt einfach konsumieren lassen: in der Boutique, der Strandbar oder zu Hause. Keineswegs aber entspricht „Beaucoup Fish“ der Art von Techno, die im Harz oder in Mecklenburg-Vorpommern bevorzugt aus aufgemotzten Kleinwagen wummert.

Ganz gelassen betreten dann die drei nicht mehr ganz jungen Herren Karl Hyde, Rick Smith und Darren Emerson die Bühne und setzen sich ihre Kopfhörer auf. Gemächlich fahren sie die Programme ab, die ersten Bassdrums erklingen, und auf den fünf Video-Leinwänden flimmern Lyrics von Underworld-Songs. Emerson und Smith sind für die Technik dieser Techno-Sets zuständig, der kleinwüchsige Hyde markiert den Hoster und Sänger, er ist das zappelnde Rumpelstilzchen, das neben der Videoshow (die von Hydes Werbeagentur Tomato ausbaldowert wurde) den eigentlichen Blickfang gibt.

Sosehr Hyde sich aber müht – bei einem Stück gar schmückt er sich überflüssigerweise mit einer Gitarre – und dem Publikum immer wieder attestiert, daß es brillant sei, sowenig täuscht sein Bühnengebaren darüber hinweg, daß Underworld-Shows genauso perfekt ausgeklügelt sind wie ihre Alben. Zu geschickt spielen Underworld mit Effekten und dem Tempo ihrer Beats, als daß sich Ekstase, Hysterie oder Mayday-Atmosphäre einstellen wollte. Das muß und soll aber auch nicht, das ist sowieso eher was für die Abiturienten, die ihre Abi-Feier vom Ma-Baker-Club in Lloret de Mar organisieren lassen. Gerrit Bartels