Modernes Leben
: Propagandistinnen à la Silvana

■ Von falschen Verlierern, echten Fixern, regelrechten Folterkellern und den richtigen, aber getarnten grünen Jungs

„Ach, wie beneide ich die Fixer: Die haben immer ein Ziel vor Augen!“ meint mein Kollege Duro – und schaut sinnend aus dem Fenster des „Presse-Cafés“ am Zoo, wo sich rund um den U-Bahn-Eingang die Drogenszene trifft.

Duro ist schon seit langem rasender Berlin-Reporter – und ist es langsam leid: „Zumal in dieser Scheißstadt!“ Aber dann entdeckt er plötzlich doch noch was Interessantes: Ein dicker blonder Fixer, ein alter graubärtiger mit Basecap, ein drahtiger Schwarzkopp sowie ein Dealer in Sportswear mit verkniffenem Mund und eine kurzrasierte Fertige in Röhrenhosen umringen zwei am U-Bahn-Eingang lungernde Kosovo-Albaner (dem Aussehen nach) – und drängen sie nach unten auf den U-Bahnhof. Duro hetzt sofort hinter ihnen her. Ich bleibe, um die Zeche zu zahlen. Wir beide sitzen fast regelmäßig im Presse-Café am Zoo, wo man garantiert nie einen Journalisten trifft. Diese Typen hocken nämlich alle im vornehmen Café Einstein in der Straße des Fixer-Babystrichs.

Nach zehn Minuten kommt Duro zurück: „Unglaublich, diese fünf heruntergekommenen Drogensüchtigen – das waren alles Zivilbullen. Die haben unten in der U-Bahn neben der Zimmervermittlung einen regelrechten Folterkeller, wo sie die Fixer filzen und verhören. Man kann in dieser Stadt bald niemandem mehr trauen: Die ganzen Penner in den U- und S-Bahnen – alles Kontrolleure, die ganzen pöbelnden jungen Freier in den Puffs – alles LKA-Beamte, und nun auch noch die harte Fixer-Szene am Zoo – alles Zivilbullen: Es ist zum Kotzen!“ „Da vorne steht Gerburg, die kenn' ich, die ist absolut authentisch. Die hängt schon seit fast 30 Jahren an der Nadel“, versuche ich ihn zu beruhigen, „das ist eine Lesbierin. Ich habe selbst mal mit der und ihrer inzwischen gestorbenen Freundin einen Entzug gemacht – auf dem Land, bei meinem Vater, das war für den härter als für die beiden Frauen.“

Gerburg kuckt plötzlich her – sieht mich und kommt zu uns rein. „Habt ihr ne Kippe für mich?“ Wir geben ihr Tabak und spendieren ihr auch noch einen doppelten Grappa. „Will einer ficken, ich kann euch auch einen blasen!“ „Aber doch nicht hier!“ wehrt Duro erschrocken ab. Die neben ihm stehende jugoslawische Kellnerin lacht trocken. Gerburg hat früher nebenan in der Peep-Show gearbeitet, wo sie wegen ihrer großen Brüste Superumsätze hatte. Aber sie hat nie gevögelt, obwohl auch das dort möglich war. „Ich denke, du machst so was nicht“, sage ich. „Der Hunger treibt's rein!“ erwidert Gerburg. „Neulich habe ich sogar mal kurz als Verkäuferin im Foxmarkt am Kottbusser Damm gearbeitet. Ich bin am Ende, Mann!“

„Wie war denn das da? Ich kenn die Foxmarkt-Propagandistin, Silvana, eine tolle Frau. Die macht immer ihre Sonderangebotsansagen mit Mikro auf den Rolltreppen hoch und runter. Und dabei spricht sie ein wunderbares Gemisch aus Berlinerisch und Türkisch.“ „Die kenn' ich auch, sagt Gerburg, „die arbeitet aber jetzt im Lafayette als Propagandistin – und dort spricht sie ein Mix aus Hochdeutsch und Modefranzösisch mit einigen englischen Cool-Einsprengseln.“ Ich bin begeistert: „Das muß ich mir ankukken!“ „Wußtest du übrigens, das sich im Foxmarkt die ganzen Zivis von der Polizei, dem LKA und der BVG einkleiden?“ fragt Gerburg. „Auf Staatskosten! Die ,szenetypischen Accessoires werden gestellt‘, heißt es bei denen im Arbeitsvertrag. Glaub bloß nicht, daß in dem billigen Foxmarkt die armen Leute einkaufen! Das sind alles Staatsdiener mit 15 Monatsgehältern, die irgendeinen Undercover-Auftrag haben. Auch die ganzen vornehmen Arschlöcher vom Zehlendorfer Verfassungsschutz, die hinter den Autonomen, den Antifas und Teilen der PDS her sind, suchen sich dort das passende Outfit zusammen. Geht doch mal hin: Ihr findet keinen normalen Kunden mehr im Foxmarkt.“ „Woher weißt du das denn, die zeigen dir doch ihren Ausweis nicht?!“ „Mann, mir als alte Nutte und Fixerin können diese grünen Jungs doch nichts mehr vormachen. Mir nicht!“ Helmut Höge