Deutschlands Sendung

■ Der MDR in den Zeiten des Krieges (mit Dauerwelle made in Plauen)

Nacht für Nacht steigen unsere Flieger-Helden auf und werfen die Last ihrer „Vernunftbomben“ (Ulrich Beck) über Jugoslawien ab. Noch hat der Feind in Deutschland keinen einzigen Gegentreffer erzielt, doch ein deutscher Fernsehsender, der MDR, strahlt schon jetzt ein wehrkraftstabilisierendes Durchhalteprogramm aus, das so wirkt, als solle es ausgebombte deutsche Flaumacher bei Laune halten.

Seit es ihn gibt, hat der MDR am liebsten schauerlich frisierte, in Biedermeiertrachten einherwalzende, vor nachkoloriertem Waldgebieten völkisches Liedgut schnulzende Germanen gezeigt, Faktoten und Matronen, Heino und Hannelore, Domspatzen und Jägermeister. Für die rotlackierten Nazis, die in Mitteldeutschland nach dem Plaste- und Elaste-Entzug 1989 ff. etwas zum Wohlfühlen brauchten, war das MDR-Programm genau das richtige. Und so dröhnten 10 Jahre lang Schreckschrauben in Glockenröcken und Knödeltenöre in Holzfällerhemden auf die Zonenpopulation ein.

Jetzt aber, im Krieg, scheint der MDR sein „Stückerl heile Welt“ (Stefanie Hertel) noch wütender, noch forcierter zu beschwören. Auf anderen Kanälen sind zwischendurch Bombentote zu sehen, bedenklich den Kopf wiegende Nato-Sprecher, Vertriebene, Ruinen, Scherben. Schaltet man auf MDR um, sieht man sofort wieder volkstümliche Musikanten, die auf Studiostegen Forellenbachsimulationen überschreiten und die Schönheit der Heimat preisen.

Da werden Weinpokale geschwenkt und Bäuche hergezeigt, daß es nur so brummt. Thüringische Fräuleins mit Schaukelzöpfen mottenkugeln über den Bildschirm, tragen Kostüme aus den Freiheitskriegen auf und schmettern Evergreens, die dem Musikgeschmack ostpreußischer Kaninchenzüchter von 1809 entsprechen. Dann pflanzen sich plötzlich 30 gehirntote Knebelbartträger vor der Kamera auf und stimmen ein Loblied auf die Lieblichkeit des Vogtlands an. Anschließend sieht man eine künstlich verjüngte Drillingin der Kessler-Zwillinge pirouettieren, mit Dauerwelle made in Plauen, zwischen blühenden Pflaumenbäumen, und wenn man dann noch durchhält, kann man abermals mitteldeutsche Sangesknaben fortgeschrittenen Alters dabei beobachten, wie sie, zwischen Mühlrädern und Hexenhäusern, mit dem Charme gut abgehangener Schweinehälften das Vaterland hochleben lassen.

Die Bürger der fünf nun doch allmählich nicht mehr ganz so neuen Bundesländer, könnte man sagen, brauchen das. Sie haben alles verloren, ihre Identität, ihren Stolz, ihr ideologisches Dachgepäck, und jetzt halten sie sich eben an „Achims Hitparade“ und der „Wernesgrüner Musikantenschenke“ fest, „der Fortsetzung der DDR mit anderen Mitteln“ (Michael Rudolf). Aber der MDR will mehr. Er verfolgt mit seiner KdF-Offensive ein größeres und schöneres Ziel: Das ganze deutsche Volk soll sich in eine urgemütliche, im Pfefferkuchenhaus schunkelnde Notgemeinschaft verwandeln. Und es soll eine Bombenstimmung herrschen. Jetzt, wo Krieg geführt wird, erst recht.

Und schon wieder, simsala bimbam basaladu saladim, wackeln mitteldeutsche MDR-Bunken furnierte Schleiflacktreppen herab und schmettern Lieder wie „Über jedes Bacherl geht a Brückerl“, und aus der Kulisse eilen die dazugehörigen Megären herbei, Stefanie Hertel und Stefanie-Hertel-Klone, in MDR-Pantinen, mit MDR-Broschen und bombensicherer MDR-Grimasse. Im Bildvordergrund sind Honoratioren zu sehen, die mit Humpen auf die Tische hauen und der Fröhlichkeit ein Prosit ausbringen.

Eine Zensur findet nicht statt. Täglich von 0 bis 24 Uhr zeigt der MDR die Wahrheit über sich selbst. Das muß man gesehen haben, sonst glaubt man das nicht. Gerhard Henschel