Ein Sieg ist ein Sieg

Das 22:19 n. V. gegen Amsterdam läßt Berlins Football-Team von einer besseren Zukunft in der NFL Europe träumen  ■   Von Thomas Winkler

Berlin (taz) – Alle waren sie glücklich. Etwas ratlos und ziemlich durchgefroren, aber glücklich. Vier lange Spiele und noch eine Verlängerung dazu hatte Berlin Thunder gebraucht, dann war es vollbracht, war der erste Sieg in der ersten Saison des ersten professionellen Berliner Football-Teams geschafft. Sportlich nicht recht erklärbar war zwar das 22:19 nach Verlängerung gegen die Amsterdam Admirals, aber so leidenschaftlich herbeigesehnt von einer Organisation, die auf dem wachsenden Markt der Hauptstadt das Produkt Football für die NFL plazieren soll, daß es schlußendlich auch erfolgreich herbeigezittert wurde.

Wide Receiver Jörg Heckenbach erzählte davon, wie er „sich den Arsch abgefroren“ hatte, aber grinste über beide Backen. Manager Michael Lang, der die letzten Minuten sein Gesicht knetend an der Seitenlinie auf und ab getigert war, berichtete, daß „schon ein, zwei Kilo Druck“ von ihm abgefallen seien. Daß er geschehen war, der erste Sieg in der NFL Europe, das war wichtig. Wie, das allerdings blieb auch im Laufe der Nachbearbeitung mehr oder weniger ein Mysterium.

Während der Verlängerung, die mit dem erfolgreichen Field Goal von Kicker David Akers endete, ließ sich auch vergessen, daß die drei Stunden zuvor mit Pleiten, Pech und Pannen auf beiden Seiten gespickt waren. Froh sei er, daß es vorbei wäre, meinte selbst Chef-Coach Wes Chandler, dessen Job die lokale Boulevardpresse bereits in Gefahr gesehen hatte. Sogar „mehr Fehler“ seiner Mannschaft hatte Chandler ausgemacht als in „den vorherigen Spielen“. Nur diesmal stand am Ende ein Sieg. Und manche Weisheiten gelten wohl in allen Sportarten: „Egal wie, ein Sieg ist ein Sieg.“

Dabei hätte es leicht wieder eine solch deprimierende Niederlage werden können, wie sie die Berliner in den letzten drei Spielen kassiert hatten, zuletzt beim 23:49 vor Wochenfrist in der Amsterdam Arena gegen denselben Gegner. So groß war die Anspannung an diesem bitterkalten Samstagabend im Berliner Nieselregen, daß es an der Seitenlinie gar zu Handgreiflichkeiten zwischen Trainern und Spielern kam, während sich auf dem Feld die unglaublichsten Kapriolen abspielten: Da ließ sich Quarterback André Ware bei einem erfolgreichen Lauf über das halbe Spielfeld kurz vor der Endzone den Ball aus der Hand schlagen; verschoß Ex-Fußball-Profi Axel Kruse zwei Extrapunkte nach Touchdowns; verlor Running Back Edwin Watson 20 Zentimeter vor der Endzone der Gäste den Ball; rutschte Punter Charles Pierce beim Befreiungsschlag aus und brachte den Ball noch nicht einmal aus der eigenen Hälfte; dazu kamen noch zwei von Ware geworfene Interceptions und ein ganzer Sack unnötiger Strafen. Zum Glück für die Berliner nahmen die Admirals die Geschenke nicht an oder bedankten sich ihrerseits mit Präsenten. Auch ihr Chefcoach Al Luginbill hatte „lächerliche Fehler da draußen“ gesehen.

Trotzdem hätten die Gäste zur Halbzeit höher als mit 6:0 führen müssen. Es war ihrer „unglaublichen Defense“ zu verdanken, daß die Berliner überhaupt „im Spiel blieben“, wie Ersatz-Quarterback Chuck Clements feststellte, der im dritten Viertel den glücklosen Ware ersetzte. Der Verteidigung kam auch zugute, daß der Nieselregen das Paßspiel nicht einfacher machte. Von den sechs Spielern, die in der Paßverteidigung zum Einsatz kamen, waren nur zwei schon zu Saisonbeginn im Kader. Tre Thomas war sogar erst am Freitag aus den USA eingeflogen worden und hatte nur einmal mit dem Team trainiert. Doch warum es das erhofft enge Spiel wurde und die für Thunder so nötige Werbung für den Sport, konnte auch Chandler nicht schlüssig erklären. Man habe sich „endlich entschlossen, vier Viertel Football zu spielen“, und zum ersten Mal hätten alle seine Spieler ihre Möglichkeiten ausgeschöpft, „so einfach ist das manchmal“. Sein Manager jedenfalls war dankbar für die perfekte Dramaturgie.

Aufgrund des schlechten Wetters wollte zwar das wichtigste Verkaufsargument, die sogenannte Power-Party um das Stadion herum, nicht so recht in Gang kommen, aber die anschließende „Spannung pur“, so hoffte Lang, sollte die Zuschauer, die sich im Stadion verloren, entschädigt haben. 7.243 Zahlende liegen zwar deutlich unter dem avisierten Schnitt von 12.000 bis 13.000, aber mit den anderen beiden deutschen Teams kommen die attraktivsten Gegner erst noch ins Jahnstadion, und noch einmal dürfte das Wetter wohl kaum so erbärmlich sein. Trotzdem bemühte sich Lang nach dem ersten Sieg in seiner Laufbahn als General Manager, „den Ball flach zu halten“. In den Wochen zuvor hatte er mit markigen Sprüchen die Bedürfnisse der Presse bedient, diesmal war kaum mehr zu erfahren als „Wir werden sehen nächste Woche“. Da kommen die Barcelona Dragons nach Prenzlauer Berg. Dann wird sich zeigen, ob ein spannendes Spiel ausgereicht hat, durchgefrorene Berliner dauerhaft für das Produkt Football zu erwärmen.