Horror vor der Playstation

Mahnen im Medienzeitalter: Ulrike Rosenbachs Videoinstallation „Im Palast der neugeborenen Kinder“ im Staatlichen Museum Schwerin  ■   Von Andreas Hergeth

Der bärtige Mann, Mitte Vierzig, ist schon nach ein paar Sekunden wieder draußen. Vielleicht hat er die Stimmen nicht ertragen: Verzerrte hohe Kinderlaute, ein Singsang, nicht zu verstehen. Die Töne könnten aus einem Horrorstreifen stammen, gehören aber zur Videoinstallation von Ulrike Rosenbach im Staatlichen Museum Schwerin.

„Im Palast der neugeborenen Kinder“ geht es in der Tat nicht mit rechten Dingen zu. Durch den lichtundurchlässigen Vorhang gelangt man in einen achteckigen Raum. An den Wänden rechts und links projizierte Kinderpaare. Überlebensgroß halten sich Junge und Mädchen an den Händen, wiegen sich ununterbrochen hin und her. Die lieben Kleinen sind alle gleich gekleidet und sehen eigentlich ganz niedlich aus – auf den ersten Blick jedenfalls. Doch von kindlicher Ausgelassenheit ist nichts zu spüren: Wie sich die drei doppelt projizierten Kinderpaare monoton bewegen, keine Miene verziehen und dabei ausdruckslos starren, wirken sie fremdartig, auf Dauer unangenehm und bedrohlich, wie geklont. Zusätzlich wandern lustig perlende Seifen- oder Luftblasen über ihre Körper. Und auch der stete Singsang, der von einem pulsierenden Ton unterlegt ist, wird mit der Zeit sehr irritierend: Technoklänge, kindliche Herztöne oder eine Pulsfrequenz?

Das leise Bum-bum-bum kommt von der Stirnseite des sakral anmutenden „Palastes“. Dort schwebt überhöht und thronend das Bild eines Computers. Auf seinem Bildschirm formen weiße Hände Figuren. Vielleicht handelt es sich um Buchstaben des Gebärdenalphabets. Oberhalb und unterhalb davon Schriftbänder: Lifechecker, Lifesaver, Liferunner, Lifecaretaker.

Doch wessen Leben soll geprüft, gerettet und behütet werden? Das der Kinder, die in einer medial präformierten Welt aufwachsen. Technik dominiert ihren Alltag: kein Kreisel, sondern die Playstation, kein Versteckspiel, sondern der Computer. Ulrike Rosenbachs Videoinstallation plädiert für einen kritischen, kreativen und humanen Umgang mit den neuen Medien – wenn das überhaupt machbar ist. Die Abhängigkeit von PC und Internet ist so allmächtig, daß der „Palast der neugeborenen Kinder“ auch der der bereits verlorenen Kinder heißen könnte. Heutiges Kindsein heißt eben – auch und gerade im armen Flächenland Mecklenburg-Vorpommern –, einen Großteil der Freizeit vor Computerspielen, Bravo-TV, japanischen Zeichentrickfilmen und „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“ zu verbringen. Das kann man, wie Ulrike Rosenbach, beklagen. Doch das ändert wenig an der Situation. Das Plädoyer der Medienkünstlerin für den skeptischen Blick auf die mediale Entwicklung bleibt folgenlos. Der „Palast“ ist nicht mehr als eine mahnende Bestandsaufnahme: Die Technik ist in viele Teile des Lebens vorgedrungen. Eben auch ins Kinderzimmer.

Mit der Beuys-Meisterschülerin Ulrike Rosenbach, die international zu den wichtigen Videokünstlerinnen zählt, setzt das Staatliche Museum Schwerin seine Reihe „Ausstellungen zeitgenössischer Kunst“ prominent fort. Daneben wird ständig das Kabinett Marcel Duchamps präsentiert. So hat sich das Haus, das lange lediglich als Hort der großen Sammlung niederländischer Malerei des 18. bis 20. Jahrhunderts galt, einen Namen als Museum mit Sinn für die Moderne über die Landesgrenzen hinweg gemacht. Und schon wird für den Sommer an einem Projekt gebastelt. In „Der Reiz der Fläche“ offeriert das Museum Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und Keramiken von Pablo Picasso und thematisiert so dessen Auseinandersetzung mit dem Phänomen von Fläche und Linie. Die Schweriner Schau ist die erste große Ausstellung des Künstlers in dieser Breite und Qualität in Ostdeutschland. Bis 24. Mai, Staatliches Museum Schwerin, Alter Garten 3, Di 10 – 20, Mi – So 10 – 18 Uhr. Der Katalog kostet 25 DM.