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: Die Fähnrichs-Heirat

Von Wladimir Kaminer

Mein Freund, ein ehemaliger Fähnrich der sowjetischen Armee, lebt seit zehn Jahren illegal in Deutschland. In dem für dieses Land so wichtigen Jahr 1989 verließ er, damals noch ein blutjunger Fähnrich, seinen Posten, kletterte über den Zaun und versteckte sich in der Sporthalle einer Mecklenburger Grundschule in der Nähe seiner Kaserne. Dort nahm er dann Kontakt mit einigen Schülern auf, er erklärte ihnen seine unglückliche Lage und tauschte Stiefel und Uniform gegen ein paar Turnschuhe und Sportswear. In diesem Aufzug schlug er sich bis nach Berlin durch. Ohne Socken.

Die darauffolgenden zehn Jahre seines Lebens verliefen sehr ruhig. Er fand einen Job bei einem Partyservice und mietete ein kleines Zimmerchen in einer Russen-WG. Der überzeugte Nichttrinker und Nichtraucher, diszipliniert durch seine lange Dienstzeit bei der Armee, lief nie der Polizei in die Arme und umgekehrt. Beim Partyservice machte er sogar Karriere: Er stieg vom Tellerwäscher zum Schichtbrigadier auf. Nach zehn Jahren harter Arbeit und sparsamen Lebens gelang es dem Fähnrich, die beträchtliche Summe von 20.000 Mark unter dem Kopfkissen zurückzulegen. Mit diesem Geld erhoffte er für sich die ultimative Lösung des scheinbar einzigen Problems, das er noch zu bewältigen hatte: der persönlichen Resozialisierung durch eine generelle Legalisierung. Aber wie? Die alte Illegalenweisheit sagte ihm: durch eine Scheinehe.

Man riet ihm zu einer Heiratsanzeige. Zuerst wollte er seine wahren Absichten nicht preisgeben: Eine ganz normale „typisch deutsche“ Liebesannonce sollte es sein. So erschien gleichzeitig in mehreren Zeitschriften, nachdem der Fähnrich monatelang den Anzeigenmarkt studiert hatte, um sich von der „deutschen Art“ des Anzeigenschreibens ein Bild zu machen, sein Einzeiler: „Schmusebär sucht Schmusemaus.“

Das Ergebnis war erstaunlich. Der arme Fähnrich bekam mehr Anrufe als „Ein älterer Herr läßt sich gerne von jungen Frauen anrufen“, der seit Jahren ein Dauerbrenner auf dem Berliner Anzeigenmarkt ist. Die meisten Schmusemäuse erwiesen sich als Frauen über 40, die eine deutlich überladene Beziehungskiste auf ihren schmalen Schultern trugen und dementsprechend frustriert waren. Der Fähnrich fühlte sich – als schüchterner Mensch – ihrer Problematik nicht gewachsen und machte regelmäßig einen Rückzieher.

Schließlich änderte er seine Taktik: In der nächsten Anzeige benutzte er das Wort „Belohnung“, was seiner Meinung nach die wahren Absichten des Bräutigams signalisierte. Es kam ein Anruf aus Eberswalde: Eine Rußlanddeutsche sei für 10.000 Mark zu haben, lautete das Angebot. Der Fähnrich fuhr nach Eberswalde: Ein ganzes Dorf von Rußlanddeutschen aus Kasachstan, inklusive Kleinkinder und Omas, erschien zur Brautschau. Der Fähnrich, durch seine langjährige Illegalität überaus mißtrauisch und vorsichtig geworden, machte erneut einen Rückzieher. „Die Russinnen sind so romantisch“, erklärte er mir an dem Abend bei einem Glas Wodka, „selbst wenn sie für Geld heiraten, wollen sie, daß bei dem Bräutigam alles stimmt, und machen sich hübsch zur Brautschau.“

Kurz darauf lernte der Fähnrich einen Makler kennen. Der Perser aus Aserbaidschan versprach ihm, für 15.000 Mark jede erdenkliche Scheinbraut zu besorgen – und nach fünf Jahren akkurat zu entsorgen, von einer Sozialhilfeempfängerin bis hin zur Berufstätigen, wenn es sein müsse.

„Zwei Drittel des Geldes bekommt die Frau, ein Drittel bekomme ich. Komm mal bei mir vorbei, wir reden von Mann zu Mann“, lockte ihn der Perser. „Mein Büro ist im Forumhotel, und hab keine Angst, ich bin auch mit einer Deutschen verheiratet, sie ist sogar Rechtsanwältin, wir arbeiten zusammen.“

Ich hielt diese Geschichte für einen großen Schwindel, und auch der Fähnrich, als er bereits mit dem Geld in der großen Halle des Forumhotels stand, überlegte es sich plötzlich anders und kehrte um. Inzwischen sind in seiner WG alle der Meinung, daß er niemals heiraten wird. Er sei einfach zu schüchtern, zu wählerisch und außerdem zu nachdenklich. Zur Zeit unternimmt er gerade einen neuen Anlauf: Jeden Abend geht er in eine Diskothek in der Sophienstraße. Er tanzt nicht, steht nur an der Bar und beobachtet aufmerksam das Publikum. Wie er damit etwas erreichen will, verriet er mir nicht.