Alternativ echt

HipHop-Superstar und Frau mit Bodenhaftung: Lauryn Hill auf Missionstour in Deutschland  ■   Von Gerrit Bartels

„It's funny how money change a situation“: Lauryn Hill möchte, daß diesen Satz auch wirklich alle im Publikum verstehen. Sie wandert an den rechten Bühnenrand, an den linken, dann wieder in die Mitte. Jedes Mal intoniert sie dabei diese erste Zeile ihres Songs „Lost Ones“, und jedes Mal wieder gibt es danach einen großen Tusch von ihrer Band. Das erinnert zwar ein wenig an eine Karnevalsveranstaltung, doch Lauryn Hill findet die Sache mit dem Geld, das gute Charaktere in schlechte verwandeln kann, alles andere als funny.

Sie selbst scheint an diesem Sonntagabend in der Berliner Arena zum Auftakt ihrer Deutschland-Tour den lebenden Beweis dafür antreten zu wollen, wie down to earth eine Frau trotz haufenweise Ruhm, Ehre und Geld bleiben kann: Sie ist momentan größer als Puff Daddy, Madonna und Whitney Houston zusammen, sie ist vor kurzem mit fünf Grammys ausgezeichnet worden, ihr Album „The Miseducation of Lauryn Hill“ wird sich bald genausooft verkauft haben wie der 17-Millionen-Seller „The Score“ von ihrer eigentlichen Band, den Fugees. Und trotzdem, vielleicht gerade deswegen bestärkt sie hier und überall auf der Welt ihre zweifache Mutterrolle, ihre weibliche Selbstbestimmtheit, ihr Refugee-Project (eine soziale Einrichtung, mit der sie Kindern den rechten Erziehungs-, Glaubens- und Liebesweg weisen möchte), ihre tiefe Religiösität und Spiritualität. Alles ein bißchen viel für eine Vierundzwanzigjährige, paßt auch alles nicht so richtig, doch Lauryn Hill läßt da keine Zweifel aufkommen und beginnt ihr Konzert mit einem Gospelstück.

Ganz im Dunkeln trägt sie das vor, um ein letztes Mal sich und ihrem Publikum eine kurze Zeit der Andacht und Besinnung einzuräumen, bevor die Spots angehen für sie und ihre sage und schreibe sechzehn Mitmusiker: drei Background-Sängerinnen, drei Bläser, zwei Keyboarder, zwei Trommler, zwei Gitarristen, ein Bassist, ein zusätzlicher Rapper und zwei DJs. Allesamt sehen sie so aus, als wären sie gerade nach einem Picknick auf dem Land auf die Bühne gekommen. Betont unprätentiös soll es zugehen, an diesem Abend sollen keine überflüssigen HipHop-Fashion-Styles gedroppt werden, kein falscher Glamour, und auch Lauryn Hill hält sich daran: Sie trägt Jeansjacke, Jeansrock und ein T-Shirt mit dem Konterfei Bob Marleys, später dann nur noch Jeanshose und rosa T-Shirt. Dieses Auftreten mag im Widerspruch zum riesigen Aufwand stehen, der für Bühnentechnik und Lightshow betrieben wurde – richtig schön hell, glitzernd und aufregend ist es in der Arena – doch bei Konzerten dieser Größenordnung nimmt auch eine Lauryn Hill so was in Kauf.

So groß die Band, so zahlreich die weiteren Anliegen von Lauryn Hill: Bescheidenheit, Lauterkeit, Ehrlichkeit, Respekt für die Lebenden und die Toten, besonders für Bob Marley, dessen Songs vor und nach dem Konzert vom Band laufen. Lauryn Hill zeigt, daß sie mit der schwarzen Musikgeschichte umzugehen weiß, sie sensibilisiert das Publikum für ihre musikalischen Wurzeln wie Gospel, Soul und Reggae. Und transportiert diese ohne Arg in die Gegenwart, in die HipHop-Community, in welcher sie sich nicht weniger fest verankert sieht. Früher nannte man diese Art von Fusionen etwas abfällig „Alternative HipHop“. Doch schon damals konterte sie so eine Zuschreibung mit Aussagen wie: „We don't carry guns and don't call our black sisters bitches, that's why we're alternative.“ Auf der Bühne läßt sie dann einen etwas albernen Battle zwischen den DJs und ihrer Beatbox und der Liveband austragen: „Ghetto Superstar“ und „Jump Around“ hier, „Sir Duke“ von Stevie Wonder und „Can Take My Eyes Off Of You“ dort. Bei „Jump Around“ bebt die Halle übrigens am meisten, es sind eben doch mehr HipHop-Kids gekommen als Armani-Anzugsträger und 100,6-Hörerinnen.

Ihr Konzert funktioniert wie ein großes, friedvolles und auch ein bißchen durcheinandergeratenes Happening, mit aller Macht verhindert sie, daß es zu einer simplen Hit-Abspulstätte verkommt: So gibt es lediglich ein Medley mit alten Fugees-Hits und eines mit den eigenen. Als sie sich umzieht, dürfen zumindest ihre männlichen Mitstreiter alle mit Soloeinlagen ihr Können demonstrieren und werden dann minutenlang vorgestellt. Das mag alles bis ins kleinste Detail geplant und inszeniert sein, wirkt aber in der Tat basisdemokratisch, improvisiert und spontan. Sich wie Madonna immer wieder neu zu erfinden oder in neue Rollen zu schlüpfen ist ihre Sache nicht. Das hat sie schon, schließlich seien es ihre Kinder gewesen, die ihr Leben gerettet hätten (sagt sie wirklich!).

Und so befriedigt Hill weiterhin brav die Bedürfnisse nach Echtheit und Glaubwürdigkeit, singt zum Abschluß „Killing Me Softly“ und entläßt ihre Fans in dem Glauben, daß sich Superstardom und Frau von nebenan und von der Straße (was sie qua Herkunft nicht ist) ideal miteinander vereinbaren lassen. Vielleicht aber trifft es auch die Aussage einer Freundin vor Beginn des Konzerts: „Sie ist doch einfach so süß.“

Weitere Konzerte: 18. 5. Düsseldorf, 22. 5. Rock im Park, 23. 5. Rock am Ring