Zeitung für die Lager

Die unabhängige kosovo-albanische Tageszeitung „Koha Ditore“ erscheint im makedonischen Exil  ■   Aus Tetovo Erich Rathfelder

Die Zeitung sieht aus wie früher, wie damals in Prishtina. Koha Ditore, die albanische Tageszeitung aus Kosovo, erscheint wieder. Wenn auch im Exil. In der westmakedonischen Stadt Tetovo haben sich die versprengten Mitglieder des Redaktionsstabes und der Technik nach der Flucht aus dem Kosovo zusammengefunden.

Die Mitarbeiter haben sich in einem Raum eingerichtet, der oberhalb eines Internet-Cafés im Zentrum der Stadt gelegen ist. Am Fenster baumelt eine Leitung. „Wir sind jetzt via Internet-Café wieder online,“ sagt Ardian Arifaj, der 25jährige Chef vom Dienst. Damals in Prishtina, als die Zeitung über ein modernes Computersystem verfügte, war natürlich mehr Platz für die Mitarbeiter da. Es gab Redaktions- und Arbeitsräume, ein Café für die Besucher. Bis zum 24. März dieses Jahres, als die serbische Polizei die Zeitung besetzte, den Wachmann erschoß, die Computer und die Einrichtung zerschlug, produzierten die meist sehr jungen Leute eine Tageszeitung, die seit ihrer Gründung im April 1997 wegen ihrer unabhängigen Berichterstattung großes Ansehen weit über die Grenzen des Kosovo hinaus erworben hat.

„Jetzt versuchen wir, den Vertriebenen in den Lagern mit unserer Zeitung wieder etwas Mut zu machen“, sagt Ardian. 10.000 Exemplare werden täglich in den Lagern verteilt. Baton Haxhiu, der 33jährige Chefredakteur, hofft, daß damit der Wille in der Bevölkerung, trotz aller Bedrängnisse des Lagerlebens auszuharren, gestärkt wird.

Mit Bestürzung hat er registrieren müssen, daß mit der Vertreibung die kosovo-albanischen Institutionen kollabiert sind. „Der Schattenstaat ist wie ein Kartenhaus zusammengefallen“, sagt Haxhiu. Die politische Führungselite sei bis auf wenige Ausnahmen unfähig, sich gegenüber der Katastrophe zu verhalten. „Wir brauchen keine Show-Veranstaltungen in den Lagern, wir brauchen funktionierende politische Strukturen, die in der Lage sind, für das Kosovo zu kämpfen.“

Daß bekannte politische Führer Kosovos sich mit der Begründung ruhig verhalten, Teile der eigenen Familie hielten sich im Kosovo auf, möchte er nicht gelten lassen. „Als Politiker kann man nicht wie ein Privatmann reagieren.“ Auch er habe noch Familie im Kosovo, seine Frau und sein Sohn befänden sich dort, seine Eltern auch. Seine Frau hätte ihn gebeten, keine Interviews zu geben. „So geht das aber nicht.“ Er senkt den Kopf und schweigt einen Augenblick.

Auch die Koha-Mitarbeiter haben gekämpft, um ihre Zeitung genau einen Monat nach der Zerstörung in Prishtina wieder herausgeben zu können. Schon wenige Tage nach der Flucht begannen die Vorbereitungen für die Produktion. Haxhiu, der schon für tot erklärt war, der sich im Keller sitzend BBC-Nachrufe über sich selbst anhören mußte, begann schon einen Tag nach seiner Ankunft in Tetovo, Geld und Sachmittel aufzutreiben. Nach einem Besuch in Bonn und London erhielt er Unterstützung durch Joschka Fischer und Robin Cook. „Die Briten haben uns 100.000 Pfund Startkapital für die Zeitung gegeben, andere Institutionen gaben uns die Computer.“ Wichtiger noch sei die diplomatische Unterstützung gewesen. Cook habe bei der makedonische Regierung die Zulassung der Zeitung erreicht, auch Fischer habe geholfen. Jetzt kann das Blatt in den Flüchtlingslagern erscheinen, darf jedoch nicht im Lande verkauft werden. „20.000 Exemplare werden im Ausland, vor allem in Deutschland und der Schweiz verkauft.“

Die Zeitung will ihrer bisherigen Linie treu bleiben. Seit ihrer Gründung ist sie gegen den Strom der internen und äußeren politischen Mächte geschwommen. Sie sprach sich gegen die Linie des ehemaligen Präsidenten des Schattenstaates, Ibrahim Rugova, aus. Sie trat gegen totalitäre Strömungen in den eigenen Reihen auf. Sie attackierte die Politik der westlichen Regierungen, um der Ruhe im Kosovo willen an Rugova festzuhalten. Über die UÇK haben sie immer breit berichtet, aber „wir wenden uns gegen die Usurpation der Staates durch eine politische Gruppierung, wir wollen eine moderne Demokratie“, so Haxhiu.

In der Samstagsausgabe wird mit Spekulationen über eine baldige Anklage Miloevic' vor dem internationalen Kriegsverbrechertribunal aufgemacht. Für die nächsten Tage wird ein Interview mit Ibrahim Rugova angekündigt. Breiten Raum nimmt auch der Sonderparteitag der deutschen Grünen ein. „Ich verstehe die Pazifisten nicht“, sagt der Chefredakteur. Sie stellen sich gegen die Nato und müßten doch wissen, daß sie damit für die Politik von Miloevic eintreten. „Warum wurde nicht gegen die Verbrechen des Regimes demonstriert, warum nicht gegen die Zerstörung von Vukovar, die Konzentrationslager in Bosnien-Herzegowina? Was ist mit den Menschenrechten?“

Unterdessen sitzen die Mitarbeiter an den Computern und bearbeiten die von den Korrespondenten eingegangenen Artikel. Die Auslandskorrespondenten aus Bonn, Brüssel, Paris, London und Washington arbeiten wie gewohnt. Doch „von vielen unserer internen Korrespondenten im Kosovo wissen wir nichts“, sagt Ardian, der Chef vom Dienst.