Last Exit Novi Sad

■ General E.: „Das Nicht-eingreifen-Können ist das Schlimmste“

„Hit the Bridge!“ – schwer atmend und mit hochrotem Kopf fingert der weißhaarige Herr in der Uniform eines 5-Sterne-Generals an seinem Joystick herum und beobachtet auf dem Computerbildschirm, wie die Harm-Rakete knapp über der Wasseroberfläche in Richtung Brücke fliegt. Dann ein Knall, die Rakete durchschlägt die Fahrbahndecke, bohrt sich in den Stützpfeiler, die darauffolgende Explosion bringt die letzte Donaubrücke Novi Sads zum Einsturz. Autos rutschen mit eingeschalteten Scheinwerfern in den Fluß ...

General Jack Eisenberg lehnt sich zufrieden zurück. Er hat immer noch den Bogen raus. In einem Spiel drei Brücken gesprengt, da hat er mal wieder ordentlich gepunktet. Doch als er den Highscore abruft, packt ihn die kalte Wut: Zwar sind 10.000 Punkte der Lohn der Treffsicherheit, aber weil er bei der Attacke einen vollbesetzten Linienbus getroffen und in der Donau versenkt hat, gibt es 500 Strafpunkte.

In so einem Moment läßt selbst ein alter Kämpe wie Jack Eisenberg resigniert seinen Joystick fallen. Wieder keine Bonuspunkte gesammelt, wieder nichts mit dem Freispiel, wieder um den Sieg betrogen. Die Stimmung der amerikanischen Mannschaft im „Wargame Saloon“ des Pentagon nähert sich dem Tiefpunkt. Denn seit sich die Nato im Krieg befindet, tun sich die Etappenhengste zwischen Las Vegas und Landstuhl schwer mit der Freizeitgestaltung.

In eigens eingerichteten Rehabilitationszentren üben sich die Angehörigen der militärischen Kommandozentralen in der virtuellen Kriegführung. Topaktuelle Software aus der Computerspiel-Abteilung des Pentagon soll ihnen dabei helfen, den für eine Kämpfernatur wie General Eisenberg unerträglichen Frust der Untätigkeit zu bewältigen. „Das Nicht-eingreifen-Können ist das Schlimmste.“

Strategiespiele wie Last Exit Novi Sad, Kosovo Now! oder The Serbian Candidate zählen denn auch momentan zu den beliebtesten Games der Militärs. Die wiederum sind dank ihres militärischen Know-how als Testspieler natürlich von unschätzbarem Wert für die Spieleentwickler.

Die hyperrealistischen Videosequenzen der Computerspiele, die selbst einen unverwüstlichen Haudegen das Gruseln lehren, werden in bislang nicht gekannter technischer Perfektion und mit ungeheurem Aufwand produziert. Original Videomitschnitte der Bombardements serbischer Städte werden unmittelbar nach der Landung der Kampfjets von den Bordkameras in die Leitzentrale des Pentagons überspielt und in minutiöser Kleinarbeit in die vorhandenen Storyboards der Computerspiele einmontiert: mit tödlicher Präzision gesprengte Brücken, explodierende Treibstofftanks oder in Flammen aufgehende Sendestationen bieten selbst dem ambitionierten Spielefreak eine Erlebnisdichte, die alles bisher Gekannte in den Schatten stellt.

„Die Produktion derartiger Spiele ist zwar nicht ganz billig“, räumt der zuständige Spielautor der Pentagon Productions ein, „aber der Aufwand lohnt sich.“ Was Zuschauer in aller Welt bei der täglichen Pressekonferenz der Nato an Ausschnitten zu sehen bekommen, seien letztlich Demo-Versionen, Appetithäppchen, um den Verkauf der nach Beendigung des Krieges frei verkäuflichen Spiele anzukurbeln.

„Die Nachfrage ist enorm. Tagtäglich bekommen wir Tausende von Anfragen aus aller Welt, vor allem aus Japan und den USA, wann die Spiele endlich auf den Markt kommen.“ Die vielgescholtene Informationspolitik der Nato erweist sich so als geniale Marketingstrategie. Der Verkaufsleiter der Pentagon Productions, Bert Lylon, ist sich denn auch sicher: „Über den Verkauf der Videogames spielen wir die Kosten des Krieges locker wieder ein.“

Rüdiger Kind