Hand aufs Herz

Zweibeinige Giraffe mit einer Stimme wie Flanell: James Taylor machte auf seiner „Hourglass“-Tournee im Berliner Friedrichstadtpalast Station. Seine Onkelhaftigkeit kann der besten Stimme des amerikanischen Kunstlieds nichts anhaben  ■   Von Ulf Erdmann Ziegler

Selbstverständlich endet das ausgedehnte Gespräch nach dem Konzert im Krieg. Ja, daß James Taylor in irgendeiner Weise auf die Situation Bezug nehmen würde, und sei es durch die Widmung eines Liedes für die Vertriebenen oder ähnlich, hatte ich mit Gewißheit erwartet. Denn der Sänger ist einer der gefragtesten Benefizer unserer Zeit. Um so plastischer die Situation der Abschließung, sich im Fastdunkel zu versammeln, um ausschließlich Fragen der Einsamkeit, des Reisens, der Familie und der Freundschaft nachzugehen.

James Taylor hat rund fünfundzwanzig Songs bereitgestellt, deren Titel (oder Kürzel) er auf eine schwarze Tafel geschrieben hat, in Blockbuchstaben. Als ihm das Rufen nach den Lieblingsliedern in der ersten Viertelstunde des Abends zu dumm wird, zeigt er die Tafel dem Publikum und merkt amüsiert an, daß dies das Programm sei. Nach der Pause dreht er die Tafel um, und von unserem Platz in den Rängen kann ich im Fernglas erkennen, daß als dritte Zugabe „SBJ“ gespielt werden wird, was aber – trotz des späteststalinistischen Ambientes des sogenannten Friedrichstadtpalasts in Berlins neuer Mitte – nicht einen Marsch der sozialistischen Jugend meint, sondern das sanfte Wiegenlied „Sweet Baby James“.

Diese Zugabe wird er dann solistisch mit einer seiner beiden Gitarren vortragen. Und wie der Klang des Instruments sich glokkenartig mit der Stimme verbindet: Davon hätte man sehr viel mehr hören mögen. Die Makellosigkeit der musikalischen Textur ist immer Taylors Markenzeichen gewesen; eine Stimmigkeit weit jenseits des Gekonnten oder des Professionellen.

Die Band, die der 51jährige Musiker mitbringt, ist im Schnitt vielleicht zehn Jahre jünger. Die Farben der Keyboards, vom leichten Hall des klassischen Fender Rhodes bis zur synthetisch überzogenen Gummistiefelnummer sind ein gutes Rahmenprogramm für einen Musiker, der seine Songs nicht – wie Joni Mitchell zum Beispiel – auf die Polarität von (selbst gespielten) Instrumenten gebaut hat. Der elektrische Bass allerdings erzeugt etliche dunkle Löcher, in denen Songenergien verrinnen, die E-Gitarre bleibt das zivilisiert-hysterische Double der akustischen des Frontmanns, und das konventionelle Schlagzeug, immer wieder ausgespielt über die Lärmgrenze hinaus, hämmert dem geschulten Hörer vor allem dies ins Bewußtsein: daß das in Deutschland reisende Ensemble ohne Risiko gewählt ist, nicht viel mehr als der Rockmantel für das Easy Listening, fern von der Eleganz des zeitgenössischen Jazz, ohne ethnische Farbe, selbst ohne die des Rock 'n' Roll.

Daran ändert auch ein einsamer Gospelianer nichts, der den Hintergrundgesang bestellt und vom Publikum, das in schwarzer Musik die tiefere Seele vermutet, für ein allzu gewöhnliches Gesangssolo über alle Maßen bejubelt wird. Wie das Duett in „Jump Up Behind Me“ – auf der 1997er LP übrigens mit Sting im Hintergrund – in Mißverständnissen und verpaßten Einsätzen zerfranst, macht deutlich, daß James Taylor als Sänger mit Schnipseln von Refrains und wiederholten Versen durchaus improvisiert. Der „Steamroller“-Blues, als Stotternummer gebracht, war eines der glänzenderen Beispiele.

Der Musiker, auf der „Hourglass“-CD (von Herb Ritts) gleich dreimal niedlich mit Hut fotografiert, ist weitgehend kahl. Den Haarkranz aber hat Vidal Sassoon mit millimeterpräziser Nachlässigkeit in Form gebracht. Die hohen Bögen der Augenbrauen, der feine Schwung der Nase: James Taylor lächelt, wenn er singt, in sich hinein. Daher auch der angelupfte Ton einer faszinierend körperlichen Stimme ohne bemerkenswertes Volumen (wenn Paul Simon Samt ist, ist James Taylor graues Flanell). Er steht auf den langen Beinen wie eine zweibeinige Giraffe; hieß so nicht auch ein Album? Ach nein: „Gorilla“. Er hat das Ungeschick der schmalen Großen, die ihre Gesten als Comicfassung darbieten, wenn die Schüchternheit überwunden ist. Das früher Bubenhafte seiner Erscheinung hat nun etwas Onkelhaftes bekommen. Es steht zur Ganzheitlichkeit der Stimme in direktem Gegensatz, und das bringt Spaß in die Familie. Also ins Publikum.

Arm an Soul und ohne den Kitzel von Percussions – zum Beispiel –, fragt man sich, aus welchem Genrefaß diese Musik eigentlich gezapft wird. Und wenn die Quellen sich gänzlich verlieren, in fahrigen Melodien und willkürlich in die Dissonanz strapazierten Dur-Akkorden, dann tritt diese Stimme erst wirklich hervor, gräbt sich wie Balsam in die Nervenbahnen. James Taylor ist immer noch der Typ, der sich mit 18 fast ruiniert hat – und gerettet durch eine Kunstform, die er seit dreißig Jahren kultiviert. Gerade das Schelmische an ihm deutet darauf hin, daß er komplett zu Hause ist in seinem eigenen Liedgut, dessen berühmtestes Beispiel „You've Got A Friend“ als Organspende von Carole King dem Werk integriert wurde und eingewachsen ist.

Im Saal wäre noch für fünf bis sechs Schulklassen Platz, aber bei fast fünfzig Euro auf den besseren Plätzen war diese Angelegenheit den reminiszierenden Besserverdienenden vorbehalten. Faszinierend, daß die Bühne nicht abgeschirmt wurde gegen begeisterte weibliche Fans, die gegen Ende des Konzerts Autogramme und Küßchen wollten und bekamen. Hand aufs Herz: Die beste Stimme des amerikanischen Kunstlieds hält, was sie verspricht.

19. 5. Frankfurt/M., 20. 5. Hamburg, 22. 5. Düsseldorf, 26. 5. München