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: Das Gesetz der Serie

■ Andreas Kleinert läßt Rechte verprügeln, bei Atom Egoyan wird irisch abgetrieben

Was macht der Maier am Himalaja? Und was macht Staatsminister Naumann in Cannes? Das eine scheint so geheimnisvoll wie das andere. Am Sonntag traf sich Naumann mit seinen französischen und italienischen Kulturministerkolleginnen, um einen bi- beziehungsweise trilateralen Filmaustausch zu diskutieren. Da es bislang kein offizielles Statement zu diesem Gespräch gibt, weiß man nichts Genaueres.

Ein Ondit war auch eine angebliche Pressekonferenz am Montag, zu der nur niemand von der deutschen Presse eingeladen war. Ein paar Unentwegte machten sich trotzdem an den Ort auf, wo die Sache stattfinden sollte, und es stellte sich dann heraus, daß es sich um ein Gespräch handelte, um das einige Journalisten im Vorfeld gebeten hatten. Just wegen jener Unentwegten mutierte es dann doch zu einer Art Minipressekonferenz. Danach sprach Naumann tatsächlich ganz öffentlich und angekündigt auf dem traditionellen Empfang der Deutschen Export-Union.

Werner Herzog im Wettbewerb und Andreas Kleinert in der Quinzaine des réalisateurs waren ihm Beweis genug, daß es mit dem deutschen Film wieder aufwärts geht. Die Rede war also nicht weiter der Rede wert, bis auf eine hübsche Definition dessen, was Kino ausmacht. In Cannes, am sechsten Tag, möchte man sie nachgerade für brisant halten: daß man nämlich zwei Stunden später klüger herausgeht, als man zwei Stunden zuvor hineinging. Aus Bruno Dumonts „L'Humanité“ kam unsereins vor einer halben Stunde allerdings nicht gerade erleuchtet heraus, wie schon aus „Pola X“ oder „Moloch“.

Bei Kleinerts „Wege in die Nacht“ war das doch etwas anders. Der Film des 37jährigen Regisseurs ist eine, in sehr präzise entworfenen Schwarzweißbildern sich ruhig entwikkelnde Studie ostdeutscher Befindlichkeit. Als mahnendes Menetekel schiebt sich die Fabrikruine, in der Walter einstmals der „Genosse Direktor“ war, immer wieder ins Bild. Plattgemacht wurde mit dieser Fabrik nicht nur Walter, sondern auch die Identität der ehemaligen DDR-Bürger. Daher muß Hilmar Thate nun mit einem jungen Pärchen in den östlichen Außenbezirken der Berliner U- und S-Bahnen Ausländerfeinde sehr gewaltsam zurechtweisen, bevor er völlig in Selbstdestruktion und Kriminalität abgleitet.

Bei der französischen Presse kam dieses Ostdeutschland nicht sonderlich an. Wie übrigens auch Eric Mendelsohns „Judy Berlin“. Freilich ist es für die französischen Cinéasten ausgemachte und auch offen ausgesprochene Sache, daß der amerikanische Vorort und der amerikanische Mittelstand das Signum schlechthin für amerikanischen Kulturimperialismus und damit abzulehnen ist.

Atom Egoyan tat also gut daran, „Felicia's Journey“ im Vereinigten Königreich anzusiedeln. Nachdem Johnny Lysaght sie verließ, weil er in Birmingham Arbeit gefunden hat, reist ihm Felicia aus Irland nach, um ihm zu sagen, daß sie schwanger ist. Doch statt auf Johnny trifft sie auf den Koch Ambrose Hilditch (Bob Hoskins), einen Freund einsamer Mädchen. Es gelingt ihm, das naive Mädchen nicht nur von Johnny fernzuhalten, sondern es auch zu einer Abtreibung zu bewegen. Danach ist Felicia jedoch aus ihrer Unwissenheit erwacht, und bevor Hilditch sie wie all die anderen Mädchen auf eine sehr endgültige Weise trösten kann, entkommt sie.

„Felicia's Journey“, eine Romanadaption von William Trevor, ist eine gut erzählte Geschichte. Doch nimmt man die staatsministerielle Definition und sagt, Kino ist, wenn man nach zwei Stunden nicht einfach nur klüger, sondern als anderer Mensch aus dem Kino kommt, dann hat das nur für Egoyans „The Sweet Hereafter“ gestimmt. Noch viel mehr als für Almodóvar gilt für Egoyan, daß der jetzige Film nicht an den vorangegangenen heranreicht. Da dies auch bei Steven Soderberghs „The Limey“ (außer Konkurrenz) versus „Out of Sight“ der Fall ist, vermute ich hier das Gesetz der Serie.

Brigitte Werneburg