■ Israel: Was kann Ehud Barak politisch bewirken?
: Hohe Erwartungen

Nationale Versöhnung. Frieden im Inneren. Es waren diese Versprechungen, die Ehud Barak zur attraktiven Alternative gegenüber einem Ministerpräsidenten machten, der um der Erhaltung der Macht willen selbst eigene Parteifreunde hinterging. Die Sehnsucht nach der inneren Aussöhnung, nach einem Land, das im Frieden mit sich selbst lebt, mag die Jubelfeiern erklären, mit denen die Wahl Baraks begrüßt wurde. Aufatmen allenthalben, als ob von morgen an alles besser würde.

Wahlversprechen sind das eine, die Realität, zumal die israelische, ist etwas anderes. Auch Ehud Barak wird die Gegensätze zwischen Ultraorthodoxen und Säkularen nicht aufheben können. Und auch der Widerspruch zwischen Arm und Reich wird eher größer als kleiner werden. Was verbindet einen russischen Einwanderer mit einem Beduinen aus Bersheba oder einen äthiopischen Juden mit einem marokkanischen? Was einen Reformjuden mit einem ultraorthodoxen? Die Widersprüche in einer Einwanderungsgesellschaft wie der israelischen sind nicht mit Wahlslogans zu beseitigen. Das weiß auch Ehud Barak. Aber hat er auch ein Mittel, um diese Widersprüche nicht nur zu thematisieren, sondern auf den Weg zu einer Lösung zu bringen?

Neue Chancen für Versöhnung und Frieden hat Barak nicht nur dem eigenen Volk, sondern auch den Palästinensern und den arabischen Nachbarn versprochen. Zumindest gegenüber den Palästinensern hat er die Grenzen in seinen ersten Äußerungen sehr eng gezogen. Jerusalem, Siedlungen, die zukünftigen Grenzen, alles will er vorab bestimmen. Und das, obwohl all diese Punkte im Oslo-Abkommen ausdrücklich als Verhandlungspunkte zwischen Israelis und Palästinensern genannt sind.

Der Befehlston des ehemaligen Generals könnte nicht nur den Arabern, sondern auch den eigenen Landsleute noch bitter aufstoßen. Alles ist besser als Netanjahu, haben selbst viele Israelis schon vor Monaten gesagt und geschrieben. Sie haben recht. Und gute Gründe für ihre Argumentation. Barak hat die Chance zu zeigen, daß man so etwas nicht auch von ihm sagen wird. Und das Vertrauen der Israelis auch. Aber Versöhnung erfordert vor allem Verständnis für das andere. Und die historische Rolle der Arbeitspartei war in dieser Frage nicht immer vorbildlich. Gerechtigkeit ist das, was viele Israelis von ihrer Regierung verlangen, zumindest gegenüber den eigenen Leuten. Hohe Erwartungen. Barak wird daran gemessen werden. Georg Baltissen