Knackige Mathematiker

Der Futurist Richie Hawtin und die Frickler Funkstörung zählen auf elektronische Perfektion  ■ Von Holger in't Veld

Spaß sieht anders aus. Spaß ist kein kahlgeschorener Mann mit winziger Brille, der mit Laptop umherzieht, um auf Interfaces an subtilen Soundmodulationen zu feilen. Dies ist kein ein- und ausladendes körperliches Wesen, kein Handelsreisender in Hedonismus, sondern Richie Hawtin, das ewige Rolemodel der computer-nerdigen Techno-Intelligenz. „Elektronische Musik“ spricht er im Bewußtsein seiner Definitionsmacht, „lebt von Technologie. Jeden Tag entwickelt sich die Technik weiter und damit auch diese Musik. Wenn es nicht so wäre, würde es noch eine Zeitlang weitergehen, weil Menschen Geräte falsch verwenden, aber nur eine begrenzte Zeit. Diese Musik ist der Ort von Progression wegen ihrer direkten Anbindung an Technologie.

Ungebrochen proklamiert Hawtin den Fortschritt einer schönen kalten neuen Welt, in der sich Silicon Valley in Bauhaus-Ästhetik und Nicholas Negroponte in Yamamoto kleidet. Daß ihn die High-End-Hersteller bislang nicht zum Werbeträger erkoren haben, liegt nur daran, daß sich populäre technoide Musik immer noch mit buntem Blinken verkauft, während die teuren, knopflosen Verstärker der arrivierten Sammler-Elite audiophiler Fusion-Platten zugedacht sind.

Dabei wäre für seine Kompositionen der verzerrungsloseste Datenweg gerade angemessen. „In meiner Musik“, so Hawtin, „geht es um Variationen von Sound, Textur und sehr subtile Veränderungen. Ich habe acht Jahre gebraucht, um zu diesem Punkt zu kommen, Stunden über Stunden, die ich Musik gehört und aufgelegt habe, um diese kleinen Veränderungen zu hören.“ Hawtins Klientel, die er unter dem Pseydonym Plastikman seit Jahren mit genau austarierten elektronischen Köstlichkeiten beglückt, versteht. Sie hat den Prozeß verfolgt. Es ist jene Spezies von Menschen, die sich etwas dermaßen verschrieben haben, daß Zeitaufwand keine Rolle spielt – seien es Briefmarken, Wein oder Musik.

Funkstörung brauchen keinen eingetragenen Verein, doch auch für sie gilt, daß sich Spaß anders buchstabiert. Michael Fakesch und Chris De Luca sind zwar auch Soundästheten und Tüftler, aber keine Theoretiker oder gar Dogmatiker. In ihrer Musik darf gesungen werden, sie remixen HipHop und Pop. Wie sie das tun ist Hawtin nicht unähnlich. Eine „Additional Production“ des Münchner Duos stört den Funk, den Groove, bzw. errichtet einen ganz neuen, präzise verstolperten, scharfkantigen, Volldigital-Funkel-Funk. Ob es nun an dieser anregenden, aber nicht schmerzhaften Zerstörung liegt oder an ihrem hochfunktionablen, wie ein jahrzehntelang eingeführtes Signet daherkommenden Namen liegt – in jedem Fall jubelt In- und noch lauter das Ausland ob dieser knackigen Mathematik.

Beide, die Frickler Funkstörung wie auch der konzeptionelle Futurist Hawtin meinen es ziemlich ernst mit ihrer programmierten Musik, so ernst, daß deren öffentliche Aufführung sich aus zwei Gründen verbietet. Zum einen weil chirurgische Schnitte und akustische Feinsinnigkeiten im Club kaum reproduzierbar sind, zum anderen, weil niemand wirklich mitansehen möchte, wie sein Publikum, statt begeistert in der Musik zu versinken, mit angestrengten Minen den Klang analysiert. Auch diese beiden Acts nicht. Deswegen präsentieren sich das Münchner Duo und der kanadische Single nicht in Ausstellungen oder bestuhlten Seminaren, sondern in Tanzräumen, aber eben nicht mit ihren Platten, sondern als DJs mit Maschinen. Dazu (v)ergeht sich Hawtin, der „auch gerne Jazz und HipHop hört, aber nicht zum Tanzen“, schon mal an einer Runde Vocal-House; Fakesch und DeLuca kreuzen HipHop und Elektro. Der Perfektionismus bleibt bei beiden im Studio. Stattdessen Spaß, mit dem auratischen Wissen um mehr.

Richie Hawtin: Do, 20 Mai, 23 Uhr, Absolut, Hans-Albers-Platz 15 Funkstörung: Fr, 21. Mai, 22 Uhr, Kasematte, Altländer Strasse 6