Wahn und Warterei

■ Pathologie der Vergeltungsgedanken: Elmar Goerden inszeniert Hugo von Hofmanns-thals Elektra am Thalia als inbrünstiges, 20jähriges Warten auf Rache

Manchmal beneidet man Menschen um ihr Engagement. Das Faszinierende an ihren Lebenswerken ist die Inbrunst, durch die sie zustande kommen. Einzig beruhigend für die vielen Leisetreter unter uns ist nur die Tatsache, daß es auch auf diesem Sektor Negativbeispiele gibt, die gar nicht mehr zur Nachahmung auffordern. Bei zu glühendem Eifer brennt eben hin und wieder eine Sicherung durch. Und manchmal nennt man das dann Fanatismus.

Fanatisch geht es auch beim Einakter Elektra von Hugo von Hofmannsthal zu, den Elmar Goerden am Thalia-Theater inszeniert. In der Tragödie von 1903 läßt Hofmannsthal die blutrünstige Sage von Orest, der den Meuchelmord an seinem Vater Agamemnon rächt, aus der antiken Vergangenheit auferstehen. Die Mörder sind niemand anderes als Agamemnons Frau Klytämnestra und ihr Bettgenosse Ägisth. Orest kommt in Hofmannthals Fassung der tragischen Familiensituation allerdings eher der Charakter eines Statisten zu, der wie nebenbei einen Killerjob erledigt. Doch bis es dazu kommt, vergehen erst einmal zwanzig lange Jahre.

In diesen zwei Jahrzehnten haben drei Frauen aus nächster Verwandtschaft Zeit genug, ihre Gedanken um die unweigerliche Rückkehr Orests (Stephan Schad) kreisen zu lassen. Klytämnestra (Hildegard Schmahl) wird in ihren Alpträumen die macbethschen Blutflecken nicht mehr los. Die einzige Lösung: „Ein jeder Dämon läßt von uns, sobald das rechte Blut geflossen ist.“

So sieht es auch die Titelheldin Elektra (Ulli Maier), Orests Schwester, nur daß sie natürlich die Mutter als Opfer im Sinne hat. Doch auch Elektra sitzt ein hinterhältiger Dämon im Nacken: Ihr durchaus das Pathologische streifender Vergeltungsgedanke ist das Einzige, was sie noch am Leben hält. Mit dem gesühnten Vatermord schüttelt Elektra ihren Dämon ab – und stirbt konsequenterweise da-ran.

Übrig bleibt nur die Dritte im Bunde: Chrysothemis (Victoria Trauttmansdorff), die mit ihrer Schwester Elektra lediglich das Warten auf Orest verbindet. Sie ist die Anpassungsfähige, Konfliktscheue, die durch die Erfüllung des Schicksals endlich zu einem normalen Leben als Ehefrau und Mutter zu kommen hofft.

Elektra entwirft Lebensprojekte aus Engagement für Wahn und Warterei. Die Identität der zwanzig Jahre Wartenden ergibt sich aus der zwanghaften Erinnerung an den Mord. Kaum ist dieser vergolten, verflüchtigt sich auch die Erinnerung an die Identität. Kein Grund neidisch zu sein. Liv Heidbüchel

Premiere: Do, 20. Mai, 20 Uhr, Thalia