Betondeppen

Satire nach Kohl: Das Hamburger Kabarett Festival in den Kammerspielen  ■ Von
Ulrike Bals

Früher war ja schon immer alles besser. Auch die Kabarettisten der letzten 16 Jahre konnten aus dem Vollen schöpfen. Denn war er nicht ein satirischer Goldesel, unser Ex-Kanzler? Da muß heutzutage ein Witz schon ganz anders sitzen, soll er nicht an den glatten Dressmen unserer Regierungsspitze abgleiten oder plump platzen wie ein fieser Farbbeutel. Vergeht einem angesichts des Balkankriegs denn nicht überhaupt das Scherzen? Genau das aber ist eben das Wesen der Satire: grinsend den Finger in die Wunde zu stecken. Es muß schon schmerzen.

„Noch ist nicht alles vorbei, noch darf gelacht werden“, meint der Leiter des 13. Hamburger Kabarett Festivals und verspricht ein unvergleichlich schnell erreichtes Witzniveau mit seinem Nach-Kohl-Ära-Programm. Wie anders sollte sich dieses düstere Jahrhundert verabschieden, fragt Ulrich Waller sarkastisch, als mit einem dramatischen Finale? Der Countdown läuft: Atomraketen gehen wieder in Stellung, Bomben fallen auf Belgrad, Computerfehler führen zum Supergau. Kurz, das große Zittern vor dem Jahrtausendwechsel zieht den roten Faden durch das Heimatfront-Theater des diesjährigen Kabarett-Festivals.

Vertrieben aus Kampnagel, findet die Veranstaltungsreihe jetzt in den Kammerspielen statt. Insgesamt 13 hochrangige Meister des Genres werden hier vom 25. Mai bis 20. Juni die Bühne mit bösem Humor schwärzen. In Der Spaß ist voll schlüpft Polt-Schüler Rolf Miller in die Gemütslage des häßlichen Nachbarn – und findet unter der Behaglichkeit nichts als blanken Horror.

Den Möchtegern-Intellektuellen und erbärmlichen Ja-Sagern, hilflosen Mitläufern und „blutleeren Betondeppen“ ist der Passauer Siggi Zimmerschied auf den Fersen. Ihm entkommen selbst die Toten nicht, wenn er sich in Klassentreffen auf den Grund der „deutschen Volksseele“ gräbt.

Eine Perspektive der Mitte nimmt Django Asül in Hämokratie ein. Auf der Suche nach der multikulturellen Identität stolpert der deutsch-türkische Niederbayer nicht schlecht über die eigenen Wurzeln. Etwa mit dem Gastarbeiter, der LSD für eine Partei hält und auf den großen Rauschangriff wartet oder dem pseudoliberalen Bankberater, der nicht lange fackelt, wenn es um Asylbewerber geht.

Den endgültigen Gnadenstoß verpaßt dem abtretenden Zeitalter Matthias Deutschmann mit Finalissimo. Ohne falsche Betroffenheit kommentiert er die Geschichte des Jahrhunderts und läßt nicht den geringsten Hoffnungsschimmer zu, daß es im nächsten besser werden könnte. Spott pur, schnörkellos zu großen thematischen Bögen verbunden. Und die Geschichte des Kabaretts wird ganz nebenbei miterzählt.

Natürlich darf, bei einer derart gründlichen Jahrtausend-Abrechnung auch der Erz-Lästerer Mathias Richling nicht fehlen. Ich muß noch was beRICHLINGen lautet sein wehmütiger Nachtrag und endgültiger Abschiedsgruß an den alten Feindkanzler. Der war immerhin des Künstlers meist gepflegte, gehaßte und geliebte Muse. Hartnäckig erforscht Richling nun das Phänomen der zunehmenden deutschen Kälte, in deren multifunktionaler Eiswüste die Bürgertypen der neuen Berliner Republik jede Orientierung verlieren.

In der sozialen Klimakatastrophe gefrieren die Personen in plötzlicher Frost-Starre. Politik wird zum Showbusiness, die Tat zum Talk. Alle talken, alle reden, selbst der Bundespräsident redet nun schon darüber, daß alles zerredet wird. Richling seziert das allgemeine Gerede und deckt auf, was sich darunter wirklich verbirgt.

Wie jedes Jahr bekommt auch diesmal wieder der Nachwuchs seine Chance. In der „Hamburg Revue“ zeigen Sybille Hein und die Kleinen Wahnsinnigen, der türkische Kabarettist Kerim Pomuk und Sebastian Schnoy gemeinsam ihr Können. Und außerdem steigen noch fünf absolute Frischlinge als potentielle „Gipfelstürmer“ auf die geweihten Bretter.

Mathias Richling: Di, 25. bis Mo, 31. Mai, jeweils 20 Uhr Rolf Miller: Do, 27. bis Sa, 29. Mai, jeweils 20.30 Uhr Django Asül: So, 6. bis Di, 8. Juni, jeweils 20 Uhr Siggi Zimmerschied: Mi, 9. bis Sa, 12. Juni, jeweils 20 Uhr Hamburg Revue: Mi, 16. und Do, 17. Juni, jeweils 20.30 Uhr Matthias Deutschmann: Do, 17. Juni, 20 Uhr Gipfelstürmer: Fr, 18. und Sa, 19. Juni, jeweils 20.30 Uhr, Hamburger Kammerspiele, Hartungstraße 9-11