Beginenhof hat „Pionierfunktion“

■ Frauenwohnprojekt soll Stadtteil weiterentwickeln / 250 von 1.000 Anteilen wurden innerhalb von sechs Wochen verkauft

Männerrunden beginnen stets mit gewaltigen Worten. Wenn sich Frauen versammeln, beginnt es meist mit gemeinsamem Tischerücken. Alle sollen miteinander reden können. Das gilt innerhalb der Familie, in der Nachbarschaft, im Stadtteil und ab und an auch im Presseclub: „Frauen sind diejenigen, die Kommunikationsstrukturen bilden“, so die Frauenbeauftragte Ulrike Hauffe. Thema der Pressekonferenz gestern: Wie wird das Modellprojekt „Beginenhof“ über die Grundstücksgrenzen hinaus wirken, wenn es im nächsten Jahr realisiert ist? Mit dem Beginenhof soll in der Neustadt alternativer Wohnraum für rund 150 Frauen und Kinder geschaffen werden.

Der Beginenhof wird die kulturelle Entfaltung der Neustadt vorantreiben – davon waren die versammelten Frauen gestern überzeugt. Neben der Staatsrätin Ulla Luther und der Gleichstellungsbeauftragten Ulrike Hauffe warben auch die Beginenhof-Vereinsvorsitzende Erika Riemer-Noltenius und Finanzexpertin Elke Schmidt-Prestin für das neue Projekt. „Wenn das funktioniert, dann setzt ein Tourismus aus ganz Deutschland ein“, hofft die Vorsitzende auf den Erfolg des bundesweit ersten Frauenwohnprojektes in diesem Ausmaß. 80 Wohnungen, aber auch Läden, Büros, Praxen und ein Frauenhotel werden bis Mitte nächsten Jahres auf dem 6.000 Quadratmeter großen Grundstück am Kirchweg, Ecke Hardenbergstraße entstehen.

Im Mittelalter boten Beginentürme den Frauen eine gemeinschaftliche Lebensform jenseits von Ehe und Familie. Diese Lebensform sei heute wieder zukunftsträchtig, folgerten die Beginenhof-Frauen, schließlich lösen sich immer mehr Ehen auf. Seit den 50er Jahren setzten Stadtplaner und Architekten auf Kleinwohnraum; und das bedürfe – angesichts sich auflösender Familienstrukturen – dringend einer Korrektur, erklärte Riemer-Noltenius.

Der innerstädtische Standort sei sehr bewußt ausgesucht worden: Anders als das Land „eröffne die Stadt Frauen die Chance zur Emanzipation“, so Ulla Luther. Mit dem Modell soll zudem eine innerstädtische Fläche „recycelt“ werden. Denn die Familien – an denen sich noch heute Stadtplaner orientieren – sind längst aufs Land gewandert. Nur 20 Prozent leben heute noch in größeren Städten.

Dafür sind vielfältige alternative Lebensformen entstanden. Zum Beispiel die alleinstehenden älteren Frauen in der Gartenstadt Süd, denen ihre Wohnungen längst zu groß geworden sind. Zum Beispiel auch alleinstehende Frauen mit Kindern. Zum Beispiel Freundinnen-WGs. Allesamt gehören sie zum Klientel, das sich vom Beginenhof-Projekt angesprochen fühlen soll.

Nein, der Beginenhof sei keine betuliche Enklave, wehrt sich Hauffe gegen den Verdacht eines frauenpolitisch konservativen Großprojektes. Anders als Frauenprojekte der 80er Jahre würde sich der „Beginenhof“ als integriertes Lebensprojekt den wirtschaftlichen Herausforderungen stellen. 30 Millionen Mark kostet das Projekt insgesamt. Das Finanzierungsgerüst sieht – bei 60-Prozent Fremdfinanzierung – einen Eigenanteil von 40 Prozent vor. Um diesen zu decken, verkauft die Genossenschaft jetzt Anteile: 1000 Stück zu 1250 Mark. Vertrauen und Nachfrage sind groß: Allein in den ersten sechs Wochen sicherten sich Frauen schon 250 Anteile. An einem einzigen Tag habe sie 80 Stück verkauft, jubelte gestern Vorstandsfrau Schmidt-Prestin. Vom Wirtschaftssenator wünscht sie sich jetzt für die verbleibenden 750 Anteile eine Landesbürgschaft.

Liane Aiwanger