Krieger wider Willen

Klaus Mann, der Schöngeist und Ästhet, wurde unter dem Druck der Verhältnisse zum politischen Akteur. Morgen ist sein 50. Todestag.  ■   Von Volker Weidermann

nd endlich war der Tod gekommen. Es war wohl der achte oder neunte Selbstmordversuch, der Klaus Mann am 21. Mai 1949 schließlich das Leben kostete. Kurz darauf erschien in der amerikanischen Zeitschrift Tomorrow sein Vermächtnis, das später unter dem Titel „Die Heimsuchung des europäischen Geistes“ ins Deutsche übersetzt wurde. Darin heißt es: „Hunderte, ja Tausende von Intellektuellen sollten tun, was Virginia Woolf, Ernst Toller, Stefan Zweig, Jan Masaryk getan haben. Eine Selbstmordwelle, der die hervorragendsten Geister zum Opfer fielen, würde die Völker aufschrecken aus ihrer Lethargie, so daß sie den tödlichen Ernst der Heimsuchung begriffen, die der Mensch über sich gebracht hat durch seine Dummheit und Selbstsucht.“

Mit dem Akt des Selbstmordes wollte sich Klaus Mann einordnen in einen gewaltigen, finalen Akt des Widerstands gegen die Teilung Europas, gegen den drohenden neuen Krieg und gegen den Zwang, sich als Intellektueller entscheiden zu müssen „zwischen den beiden antigeistigen Riesenmächten – dem amerikanischen Geld und dem russischen Fanatismus“.

Klaus Mann wollte sich nicht entscheiden. Er war ein politischer Träumer. Immer hatte er von der Synthese geträumt, der großen Vereinigung, dem Zusammenschluß der anständigen, wohlwollenden Menschen unter der Fahne Europas. Schon 1930, in seiner ersten öffentlichen politischen Äußerung, hatte er erklärt, „daß Europa ungeeinigt zu lassen Selbstmord wäre“. Und später, als er im französischen Exil begann, die Stimmen der deutschen Emigranten in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Die Sammlung unter phantastischen Anstrengungen im Kampf gegen den Faschismus zu vereinigen, saß er beständig zwischen allen Stühlen, die die politischen Hardliner und Bekenntnisfetischisten aller Couleur aufgestellt hatten.

Ein Kämpfer war er nicht. Nicht mit Worten, erst recht nicht mit Taten. Die Zeit hat ihn dann verwandelt. Er hat sein Leben einmal als das eines Schriftstellers beschrieben, „dessen primäre Interessen in der ästhetisch-religiös-erotischen Sphäre lagen, der aber unter dem Druck der Verhältnisse zu einer politisch verantwortungsbewußten, sogar kämpferischen Position gelangte“.

Er hatte früh zu schreiben begonnen. Mit 19 erschien sein erstes Buch, kurz darauf sein erstes Theaterstück, das er zusammen mit Gustaf Gründgens, Pamela Wedekind und seiner Schwester Erika aufführte, mit 26 veröffentlichte der 1906 geborene mit „Kind dieser Zeit“ seine erste Autobiographie. Seine Veröffentlichungen waren immer kleine Sensationen im Literaturbetrieb. Er machte Schlagzeilen. Meist eher negative. Von Anfang an waren es nur Bücher des „Sohnes“, die man las. Sein Vater Thomas, der Nobelpreisträger, ragte wie ein erratischer Block aus dem geistigen Leben der Weimarer Republik – unangreifbar. Man rächte sich am Sohn, der hastig, flüchtig Buch auf Buch produzierte und sich zum Repräsentanten einer Jugend aufzuschwingen bemühte, von der er wenig wußte. Soziale Wirklichkeiten interessierten ihn kaum.

Doch mit der Zeit wurde Klaus Mann zum Politiker. Er gehörte zu den ersten, die Deutschland 1933 verließen. Er hatte ein glasklare, kompromißlose Antiposition. Mit den Daheimgebliebenen gab es keine Gemeinsamkeiten mehr. Die Kluft zwischen „denen“ und „uns“ führte er exemplarisch in einem Briefwechsel mit Gottfried Benn vor, dessen Gedichte er liebte, der jedoch dem Mißverständnis erlegen war, mit den Nazis entstünde nun „das neue Reich“, von dem er so lange geschrieben hatte. Klaus Mann beschwor ihn. Benn spottete. Es gab keine Verständigung mit den Schriftstellern im Dritten Reich.

Und schon die Verständigung unter den Schriftstellern „draußen“ war ja schwer genug. Klaus Mann war der ruhende Pol, der Ausgleicher, Sammler der Emigranten. Er konnte es nie begreifen, wie man sich im Angesicht der weltbedrohenden Gefahr des Faschismus ernsthaft mit kleingeistigen Richtungskämpfen untereinander beschäftigen konnte. Im Wörterkampf gegen den großen Feind war jede Stimme wichtig und ein halbwegs gemeinsames Auftreten unverzichtbar. Klaus Mann hatte einen immensen Glauben an die Kraft des Wortes. Die Wirkungsmacht des Schriftstellers und Publizisten schien ihm mit der des Politikers durchaus vergleichbar. Doch die bitteren Erfahrungen des Exils raubten ihm diesen Glauben bald. Er, der auch in der Weimarer Republik mehr berüchtigt als erfolgreich gewesen war, hatte nun, wie die meisten seiner Kollegen, fast gar keine Leser mehr. Obwohl die Bücher, die er damals schrieb, zu dem Besten gehören, was er gemacht hat – „Flucht in den Norden“ und „Der Vulkan“ sind Dokumente der Exilerfahrungen ersten Ranges, der „Mephisto“ wurde viel, viel später zu einem der erfolgreichsten Bücher der Zeit –, damals hatte er kaum Erfolg. Und auch Die Sammlung machte nach zwei Jahren bankrott. Währenddessen zog Hitler von Triumph zu Triumph. Das Wort war machtloser denn je. Klaus Mann verlor sich in Drogenrausch und Todessehnsucht.

Hoffnung fand er erst wieder, als er als Berichterstatter im Spanischen Bürgerkrieg unterwegs war. Den Kampf der Freiwilligen gegen die Armeen Francos nannte der Pazifist Klaus Mann „das schönste Erlebnis, was uns in der Verbannung begegnet ist“. Kein Beispiel habe den Vertriebenen und Entmutigten bislang den Weg zum Kampf, die Chance des Sieges gezeigt. Doch „Spanien ist Beispiel“, rief er aus, und das hieß nichts anderes als Krieg, Kampf mit der Waffe statt mit Worten. Seitdem hoffte er auf den Krieg, und er verfluchte die Schwäche Frankreichs und Englands, die sich von Kompromiß zu Kompromiß mit Hitlerdeutschland hangelten. Und als es dann losging, an jenem 1. September, schrieb er in sein Tagebuch: „Angst. Hoffnung. Beben. Äußerste Spannung. Oft den Tränen nah.“ Und später dann: „Das Gefühl, der Augenblick sei da; etwas zu tun.“

Es dauerte lange, bis er in diesem Krieg etwas „tun“ durfte. Doch noch am Tag des Bombenangriffs auf Pearl Harbour schreibt der inzwischen in die USA Emigrierte: „Ich will in die amerikanische Armee.“ Doch der Weg dahin war weit. Offiziell wegen einer Syphilis-Erkrankung, doch in Wirklichkeit, weil das FBI dicke Akten über Manns angebliche sexuelle Perversionen (Homosexuelle waren in der Armee nicht zugelassen) und „vorauseilenden Antifaschismus“, eine besonders lächerliche Umschreibung von Kommunismusverdacht, angelegt hatte. Nach zweimaliger Ablehnung hatte er es endlich geschafft. Er durfte kämpfen. Doch wohl selten ist ein Freiwilliger skrupulöser in den Krieg gezogen.

Die Frage, ob Pazifismus ein unbedingt verpflichtendes Postulat sein sollte oder ob Gewaltanwendung in bestimmten Fällen entschuldbar ist, blieb für ihn ein „fundamentales Problem“. Daß „Werte und Prinzipien, an deren Grundlagen wir nie gezweifelt haben“ nun ins Wanken kamen, brachte ihn immer wieder in schwere Gewissenszweifel. Gibt es den gerechten, den moralischen Krieg? „Manchmal ängstigt mich die Frage, ob es in diesem Krieg denn wirklich um eine moralische Entscheidung geht. Die Tatsache, daß der Krieg überhaupt unvermeidlich wurde, ist ein so schmähliches Fiasko für beide Seiten, daß es nun, moralisch gesehen, kaum noch einen Unterschied macht, welche Partei gewinnt.“ Den „falsch verstandenen Pazifismus“ der westlichen Demokratien in der Vorkriegszeit wurde er nicht müde, diesen vorzuwerfen. Doch nun war es, wie es war, und Klaus Mann zog die Konsequenz: „Ein Krieg, der unvermeidlich geworden ist, läßt sich nicht mehr ablehnen, sondern nur noch gewinnen.“

Und so zog der Pazifist in den Krieg. Er wurde der Abteilung „Psychologische Kriegsführung“ zugeteilt, verfaßte Flugblätter in deutscher Sprache, die zur Desertion aufforderten und in einem Bündel mit Zigaretten abgeworfen wurden, lud in vorderster Front mit dem Megaphon die deutschen Soldaten zu Kaffee und Kuchen auf der amerikanischen Frontseite ein und schrieb Berichte für die Militärzeitung. Fast drei Jahre war er bei der Armee. Er gehörte zu den ersten amerikanischen Soldaten in Deutschland, interviewte Hermann Göring, Prominente wie Richard Strauß und unzählige Kriegsgefangene. Sein Eindruck war erschreckend. Klaus Mann, der immer die These von den zwei Deutschlands, dem eigentlich guten und dem von Hitler verführten, vertreten hatte, stellte erschüttert fest, daß nicht das geringste Schuldbewußtsein in der Bevölkerung vorhanden war, und er war jetzt sicher, daß, wenn Hitler auch nach längerer Zeit wiederkäme und die Alliierten sich zurückzögen, 90 Prozent der Bevölkerung ihre Nazifähnchen wieder hervorholten.

Der Krieg war vorbei. Die Alliierten hatten gesiegt. Klaus Mann hatte gesiegt. Doch was er gewonnen hatte, wurde ihm von Tag zu Tag unklarer. Die Menschen hatten sich nicht verändert. Seine Bücher wollte niemand lesen. Der „Mephisto“, in dem er das Paradebeispiel des politischen Anpassers und Opportunisten nach dem Vorbild Gustaf Gründgens' gestaltet hatte, wurde vom Langenscheidt Verlag mit den Worten abgelehnt, Gründgens sei schon wieder so populär im Lande, man wolle das nicht riskieren. Die Gesinnungskämpfe unter den Intellektuellen brachen mit dem Kalten Krieg heftiger aus denn je, und Klaus Mann schrieb kurz vor seinem Tod: „Wir sind gezwungen, Stellung zu nehmen und gerade dadurch alles zu verraten, was wir verteidigen und hochhalten sollten. In Wahrheit ist keine von beiden Seiten gut genug, und das heißt, daß beide schlecht sind, beide schwarz, schwarz, schwarz.“

Zum 50. Todestag Klaus Manns sind zwei Biographien erschienen. Uwe Naumann (Hrsg.): „Ruhe gibt es nicht, bis zum Schluß“. Bilder und Dokumente. Rowohlt, 350 S. mit 600 Abb., 98 DM; Nicole Schaenzler: „Klaus Mann“. Campus, 464 S., 48 DM