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Der Cyberspace im Berliner Schrebergarten

■  Heute geht die Messe „Internet World“ zu Ende: Technische Neuheiten waren nicht zu sehen, statt dessen haben Mittelständler drei Tage lang über Rezepte für Mittelständler diskutiert, die im Web Geld verdienen wollen

Die amerikanische Promotionagentur „Mecklermedia“ und ihr deutscher Partner „MuniCom“ sind fest entschlossen, die Marktlücke zu besetzen, die sie im letzten Jahr in Berlin entdeckt haben. Die Messe und der Kongreß „Internet World“ ist ein Familientreffen des Mittelstandes. Der Cyberspace schrumpft zum lokaltypischen Format des Schrebergartens. Mit Mühe und Not füllt die Ausstellung zwei der neuen Messehallen am Funkturm, und die etwa dreihundert Firmen der Software- und Medienbranche, die sich für einen Auftritt in dieser Provinz gewinnen ließen, zeigen keine Technik von morgen, sondern die längst standardisierten Lösungen von heute, Programme und Geschäftsrezepte, die von mittelständischen Firmen ohne Risiko angewandt werden können.

Warum auch nicht? Selbst IBM verzichtete auf die sonst standesgemäße große Werbetrommel und gab statt dessen lokalpatriotisch die Kooperation mit der Berliner Multimedia-Agentur „Pixelpark“ bekannt. Stolz durften die bereits recht gut am Markt eingeführten Webdesigner ihre neuesten Werke nunmehr im vornehmen schwarz-blauen Ambiente des Weltkonzerns vorführen.

Die Mehrzahl der Aussteller aber muß ohne eine solche Schirmherrschaft auskommen. Vor allem die kleineren, oft nur regionalen Internetservice-Provider scheinen die Berliner Messe als ihre Plattform entdeckt zu haben. Den Kampf um die Masse der Privatkunden haben sie zum großen Teil bereits an die Telekom und an AOL verloren, mittelständische Bedürfnisse jedoch, die über das Feierabendsurfen hinausgehen, können sie weit besser und kompetenter befriedigen als die beiden Marktführer. Wer mit seinem Handwerksbetrieb ins Netz gehen will, braucht individuellen Service, flexible Konfigurationen des Servers, jederzeit verfügbare solide Leitungen, aber auch Beratung bis hin zum Design kompletter Webseiten: Noch eine Marktlücke im Webgeschäft, die besetzt werden will.

Weniger die globalen Perspektiven als vielmehr die Einzelfragen des Alltagsgeschäfts beherrschen denn auch das Programm der Fachvorträge und Workshops. Referenten aus der zweiten Reihe geben Auskunft über ihre Erfolgsrezepte, diskutieren etwa das Für und Wider der bereits togesagten Werbebanner, deren Rennaissance aber gerade bevorstehe. Ohnehin haben die Grundbegriffe des E-Commerce ihre höchst eigene Konjunktur. Obwohl sich die Fachwelt im letzten Jahr darauf geeinigt hatte, daß weder die imaginäre „Community“ der vorbeisurfenden Laufkundschaft noch die plötzlich „Portal“ genannten virtuellen Einkaufsmeilen halten, was sie versprachen, kehrten ebendiese Begriffe in Berlin noch einmal als Schlüssel zum Tor des Internetgeschäfts wieder. Mehrere Vorträge widmeten sich den Vorzügen solcher Auftritte im Web, und bei der grauen Theorie blieb es nicht. Ausgerechnet die gelbe Post, die selbst auf einer Berliner Internetmesse wie ein Museumsstück aus der Frühgeschichte der Kommunikation aussieht, gab zum Auftakt der Show ihre neue Homepage zum öffentlichen Ansurfen frei. Sie heißt „eEvita“ und besteht aus ebenjenen mühsam kaschierten Werbetextchen und Sonderangeboten beliebiger Art, die nachweislich die Kundschaft gleich scharenweise vertreiben.

Niklaus Hablützel

niklaus@az.de

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