■ Rußland: Der neue Premier Sergej Stepaschin ist bestätigt
: Was will Jelzin?

Die Duma bestätigte gestern Sergej Stepaschin als neuen russischen Premier. Die gewöhnlich streitsüchtige Deputiertenversammlung stimmte ohne viel Federlesens zu. Ganz wie es sich für einen ehrlichen und fairen Verlierer geziemt. Am Wochenende hatten die Kommunisten im Kräftemessen um das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Jelzin eindeutig den kürzeren gezogen. Und um den Landesvater, der zu allem fähig ist und ihnen gegenüber wahrlich kein Pardon kennt, nicht doch noch zu alttestamentarischer Rache herauszufordern, gaben die Abgeordneten klein bei. Sie votierten, als wären sie ein präsidialer Wahlverein.

Wer in Rußland den Ministerpräsidenten stellt, ist inzwischen eher zweitrangig. Mehr als die technische Abwicklung der ärgsten Alltagsprobleme haben auch vorangegangene Regierungen nicht geleistet. Sommerpause und anstehende Dumawahlen im Herbst sind keine schwachen Argumente, um sich gegen hastige Kritik zu feien. Doch bleibt es bei diesem Fahrplan? Offenkundig führt Kremlchef Boris Jelzin in den nächsten Wochen doch noch einiges mehr im Schilde. Seit langem hat die Präsidialverwaltung keine so exzellente Arbeit mehr geleistet wie beim geglückten Versuch, das Amtsenthebungsverfahren zu Fall zu bringen. Sie hat die Abgeordneten gleich en gros eingekauft und damit die kommunistische Opposition in fatale Bedrängnis gebracht. Löst der Präsident das Parlament auf, dürften die Kommunisten im Herbst mit einer erheblich reduzierten Mannschaft in die Duma einziehen. Jelzin geht es aber nicht darum, sie zu verdrängen, um eine reformorientierte Politik im letzten Amtsjahr zu sichern und den von der „Demokratie“ enttäuschten Wählern doch noch eine Perspektive aufzuzeigen. Strategische Entscheidungen sind bis zu den Präsidentschaftswahlen nicht zu erwarten.

Statt dessen besteht die Gefahr, der Kreml könnte in der nächsten Zeit mit verschiedensten Störmanövern von sich reden machen. Im Mittelpunkt steht die Figur Boris Jelzins. Die Anzeichen mögen trügen, dennoch sieht es so aus, als bereite sich der machtbesessene Kremlchef auf eine entscheidende Schlacht vor. Entweder sorgt er dafür, daß er nicht wie von der Verfassung vorgesehen 2000 aus dem Amt scheidet. Wenn das nicht gelingt, will er wenigstens die Kommunistische Partei mit hinab in den Orkus reißen. Die Obsession verfolgt ihn schon seit einem Jahrzehnt. Erst dann könnte er ruhig schlafen. Und Rußland? Klaus-Helge Donath