Auschwitz wurde nicht freigebombt –betr.: Joschka und die Natur der Hysterie“, taz vom 17. 5. 99

Sibylle Tönnies hebt die unterschiedlichen Qualitäten des Tötens hervor, wenn sie über den Kosovo-Krieg nachdenkt; dort tötet Miloevic, hier töten wir. – diese Unterscheidung ist ebenso oberflächlich wie feige. Morden und Töten sind zwei unterschiedliche Dinge. Niemand, der halbwegs bei Sinnen ist, findet das Töten von Menschen erstrebenswert. Doch wenn es darum geht, einen Mörder aufzuhalten, dann muß wohl eine Güterabwägung getroffen werden: Das Leben der Mörder gegen das Leben Unschuldiger. Wer vor dieser Frage wegläuft, ist kein Pazifist, sondern feige. Wer sich dieser Frage allerdings ernsthaft stellt, muß einräumen, daß getötete Zivilisten auch nicht im Sinne des Verteidigers eben dieser Menschen sein können. Bomben aus großer Höhe töten fast schon zwangsläufig Zivilisten, nehmen den Mördern, für die sie eigentlich gedacht sind, die Arbeit ab. Solche Opfer unter Unschuldigen ließen sich nur durch Bodenaufklärung und Bodenkampf zu vermeiden – freilich um den Preis eigener Opferbereitschaft –, ohne Verluste ginge ein Bodenkrieg auch für die Nato nicht ab. Dennoch: Wer wahrhaftig bleiben will, der muß jetzt – durch den Lauf der Dinge gezwungen – Bodentruppen fordern. Die Gleichsetzung von getöteten Tätern und gemordeten Opfern ist nicht geeignet, diese Zwänge des Faktischen beiseite zu wischen. Vielmehr pervertiert diese rhetorische Finte jeglichen noch verbliebenen Pazifismus. [...] Roland Bösker, Hauptmann der Reserve, Hamburg

[...] 1. Auschwitz wurde nicht freigebombt.

2. Die beiden aus Birkenau geflüchteten Häftlinge transportierten genaue Pläne des Vernichtungslagers. Diese und die Aufforderung, die Krematorien zu zerbomben, gelangten bis in höchste Regierungskreise in Washington.

3. Die U.S. Army bombardierte mehrfach das wenige Kilometer entlegene Chemiewerk der I. G. Farben Auschwitz III (Monowitz). Es hatte „Kriegswichtigkeit“, so die Begründung. Die Krematorien in Birkenau hatten sie nicht.

4. Allein in Auschwitz-Birkenau wurden phasenweise bis zu 20.000 Menschen, vor allem Juden, pro Tag getötet.

5. Der Jargon „wie Auschwitz ... so Kosovo“ entbehrt jeglicher historischen Grundlage. Er dient, mehr noch als die Kriegsrechtfertigung, dem endgültigen Vergessen dessen, was Auschwitz heißt.

6. Die Aufarbeitung der Vergangenheit kann nicht an andere Nationen projizierend delegiert werden. Sie heißt: Entschädigung an KZ-Überlebende und Zwangsarbeiter, Freigabe der auf 100 Jahre gesperrten NS-Archive, Aufhebung völkischer Rechtsnormen wie der geltenden Staatsbürgerschaftsregelung, Abschluß des seit dem 8. Mai 1945 anstehenden Friedensvertrages mit völkerrechtlicher Anerkennung der polnischen Westgrenze und aktuell: juristische Anerkennung der BRD-internen Minderheiten wie Türken und Jugoslawen.

7. Auschwitz tatsächlich zum zentralen negativen Bezugspunkt für die heutige Politik zu machen, hieße, sich – ernsthaft – darüber in Kenntnis zu setzen, was dieser Ortsname repräsentiert und das, was es strukturell ermöglichte, abzuschaffen. All das geht denen, die es lässig erhitzt im Munde führen, zu weit. Einfacher ist es, die einzige Nation, die sich ohne Hilfe der Alliierten vom deutschen Nationalsozialismus befreite, „Nie wieder Auschwitz“ dröhnend, zu zerstören. Stefan Gandler, Mexico