Der Hü-und-hott-Kanzler kriegt Ärger

Die Fraktion ist frustriert, der Kanzler ohne politische Linie und ein Intrigant als Koordinator dazwischen. SPD-Politiker zeichnen derzeit ein verheerendes Bild ihrer Regierung: „Hier ist High-noon.“  ■   Aus Bonn Markus Franz

Treffen der jungen SPD-Bundestagsabgeordneten mit Bundeskanzler Gerhard Schröder. Auf einmal platzt einem leicht angeschickerten Kanzler der Kragen: Die Partei sei unfähig, Innenminister Schily hole zu viele Flüchtlinge ins Land, Arbeitsminister Riester sei eine Fehlbesetzung, Kriegsgegner Hermann Scheer gehöre nicht mehr in die Partei. Und überhaupt: Die Wahlen in diesem Jahr könne man sich abschminken. Die Youngster sind schockiert.

„Was erzählt der denn da? Das ist ja gefährlich“, empört sich eine junge Abgeordnete. Die Motivation, berichten Abgeordnete übereinstimmend, sei auf den Tiefpunkt gesunken. Dazu paßt, daß SPD-Politiker in diesen Tagen die Frage nach dem Fortbestand der Regierung stellen. Das ist zwar nicht gerade rational, aber bezeichnend für eine Stimmung, die bereits als Fin de siècle beschrieben wird.

Das Hauptproblem der SPD ist nicht der Kosovo-Krieg, sondern der Zustand der Regierung und die Unzufriedenheit mit dem Kanzler. Die Fraktion fühlt sich mit ihren politischen Ambitionen übergangen und sieht sich am Gängelband des Kanzlers. Schröder wirke im Moment arrogant, er höre nicht zu, kritisiert ein Umweltpolitiker. Die Abgeordneten sind frustriert, wenn sich Schröder wieder mal in der Fraktion hinstellt und sagt: „Wir machen das so: Dafür gibt es keine Alternative.“ Eine Abgeordnete spricht von einer permanenten „High-noon-Situation“.

Solches Gebahren stößt den Abgeordneten um so mehr auf, als sie nicht von Schröders Kompetenz überzeugt sind. Der Kanzler sei nicht immer sachlich auf der Höhe – und damit angreifbar. „Schröder ist schlichtweg überfordert“, sagt ein SPD-Vorstandsmitglied. Er habe „wenig sachliche Kompetenz“ und „keine inhaltliche Passion“. Jetzt räche es sich, daß Schröder im Kanzleramt vor allem Leute um sich geschart habe, die Wahlen gewinnen können, mehr aber auch nicht.

Für viele Abgeordnete ist „Kanzleramt“ inzwischen ein Reizwort. Die Fronten, heißt es, verlaufen nicht mehr zwischen links und rechts, sondern zwischen Fraktion und Kanzleramt. Wenn von „Heckenschützen aus dem Kanzleramt“ und „intrigantem Verhalten“ gesprochen wird, ist immer auch der Buhmann Nummer eins in der SPD gemeint – Kanzleramtsminister Bodo Hombach. Fraktionschef Peter Struck giftete, an Hombachs Adresse gerichtet, er sei die „Tricksereien“ leid: „Ich lasse mich nicht mehr linken.“

Nur einer der Vorwürfe aus der Fraktion: Hombach versuche durch gezielte Presseinformationen das Gesetz zu den 630-Mark-Jobs zu torpedieren. Die Fraktion, die das Gesetz beibehalten will, solle durch den öffentlichen Druck mürbe gemacht werden. Unabhängig davon, ob die Vorwürfe stimmen: Ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Fraktion und Minister scheint ausgeschlossen. Dabei gehört es zu Hombachs zentralen Aufgaben, Fraktion und Kanzleramt zu koordinieren.

Wenn die Regierung erfolgreich wäre, wäre es ja auszuhalten. Aber so? Ob 630-Mark-Jobs, Scheinselbständigkeit, Atomausstieg, Staatsbürgerschaft, Steuerreform – kein Gesetzesvorhaben geht reibungslos über die Bühne. „Nirgendwo ist ein Durchbruch erreicht“, klagt ein bedeutender Innenpolitiker der SPD. „Es gibt kein Durchatmen, nichts, worauf man sich mal ausruhen könnte.“ Statt dessen vergrätze man die Unternehmen, die Gewerkschaften und die kleinen Leute. Ein stellvertretender Fraktionsvorsitzender stöhnt: „Es fehlt eben an einer erkennbaren Strategie.“

Der Kanzler selbst trägt zur Beunruhigung bei. Aus dem Kanzleramt ist Besorgnis darüber zu hören, wie Schröder in sich zusammenfällt, wenn er sich nicht beobachtet wähnt, wie sein Blick glasig wird und seine Mundwinkel wie von Gewichten nach unten gezogen werden. Seine Hoffnung setzt er nun auf Finanzminister Hans Eichel, der bis Ende Juni seine Spar- und Steuerreformpläne vorlegen soll. Wenn das nicht hinhaue, hat der Kanzler im Kabinett gesagt, „ist Ende der Fahnenstange“. Auch Niedersachsens Ministerpräsident Glogowski sagt: „Noch ein Jahr Steuerdebatte halten wir nicht aus. Entweder wir einigen uns im Sommer, oder wir sagen: Vier Jahre, schön das war's.“

Schnelle Einigung, das hört sich gut an. Aber einigen auf was? Wer so wenige feste Standpunkte habe wie Schröder, heißt es immer wieder, werde zwangsläufig zum Spielball von Interessen. Schröder erwecke den Eindruck, sich am Gängelband der Unternehmerschaft zu befinden. Die Altauto-Verordnung habe er im Europarat scheitern lassen, weil ihn VW-Chef Piäch dazu gedrängt habe. Bei den 630-Mark-Jobs knicke er ein, um den Zeitungsverlegern gefällig zu sein. Ein Abgeordneter nennt Schröder den „Hü-und-hott-Kanzler“.

Der große Unmut über den Kanzler verdeckt, daß auch in Fraktion und Partei nicht effektiv gearbeitet wird. Selbst Schröder-Skeptiker kritisieren, die Fraktion sei mit schuld am Erscheinungsbild der Regierung. Struck wird vorgeworfen, die Fraktion nicht im Griff zu haben und inhaltlich keine Zeichen zu setzen. Und über Bundesgeschäftsführer Ottmar Schreiner heißt es: „Was macht der eigentlich?“ Dreht sich also bald das Personalkarussell? Scharping, so wird glaubhaft berichtet, lote schon aus, ob er nicht wieder Parteichef werden könne. Die Chance hätte er, wenn die Koalition wegen des Kosovo-Krieges platzt. „Was uns dann bevorsteht“, sagt ein SPD-Vorstandsmitglied, „da sind 16 Jahre Regierungslosigkeit nichts dagegen.“