Erst das Amt, dann die Frau

■ Grüne wollen vor allem eine Frau als EU-Kommissar, nicht unbedingt eine Grüne

Berlin (taz) – Die Sprecherin des Bundesvorstandes der Grünen, Antje Radcke, erklärte gestern, daß die Kandidatin für den Posten einer EU-Kommissarin erst nach der Europawahl am 13. Juni nominiert werde. Die parlamentarische Geschäftsführerin Kristin Heyne nannte es gegenüber der taz möglich, daß die Kandidatin für den EU-Posten bereits nächste Woche benannt wird. Ernannt werde sie allerdings erst im Spätsommer. Bereits gestern abend wollte man sich in einer Koalitionsrunde mit der SPD auf das mögliche Ressort und die notwendige Qualifikation verständigen.

Radcke bekräftigte, daß sich die Grünen in einem Parteitagsbeschluß festgelegt hätten, den Posten mit einer Frau zu besetzen. Entsprechend hatte sich bereits die zweite Sprecherin Gunda Röstel geäußert. Auch Heyne und die Fraktionsvorsitzende Kerstin Müller bestätigten gestern gegenüber der taz, daß es eine Frau sein soll. Sie traten damit Spekulationen entgegen, wonach Bundesumweltminister Jürgen Trittin aussichtsreich Interesse an dem Posten in Brüssel bekundet habe. Trittin wird nach einem Bericht der Welt dabei von dem Fraktionsvorsitzenden Rezzo Schlauch und Außenminister Joschka Fischer unterstützt.

Heyne sagte, es könne nicht sein, daß eine Frau weiche, bloß weil ein Mann gewünscht werde. Die Partei habe genügend gute Kandidatinnen. Allerdings erklärte sie auf Nachfrage, daß die Kandidatin nicht Mitglied der Grünen sein müsse. Bislang waren die Vizepräsidentin des Bundestages, Antje Vollmer, und die Fraktionsvorsitzende im Berliner Abgeordnetenhaus, Michaele Schreyer, im Gespräch gewesen. Die nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn hatte am Wochenende einen Rückzieher gemacht. Sie galt bei den Realpolitikern ihrer Partei, aber auch für Bundeskanzler Schröder als nicht mehr akzeptabel, nachdem sie sich auf dem Parteitag in Bielefeld gegen die Kosovo-Politik der Bundesregierung ausgesprochen hatte. Daß der Ausgang der EU-Wahl einen Einfluß auf die Vergabe des Postens haben könnte, schloß Radcke aus.

Wenn die Grünen bereits nächste Woche eine Kandidatin benennen, geht diese das Risiko ein, daß sie im Rahmen der Abstimmung zwischen den Regierungschefs der EU und mit dem EU-Präsidenten Romano Prodi nicht akzeptiert wird. Diese Gefahr wird bei den Grünen um so höher eingeschätzt, je zentraler das Ressort ist, welches die Grünen beanspruchen. Der Spitzenkandidat der SPD für die Europawahl, Klaus Hänsch, nannte das bisherige Personaltableau der Grünen nicht qualifiziert. Schröder, aber auch Trittin und die Fraktionsspitze der Grünen favorisieren das schwergewichtige Kommissariat für Wirtschaft und Technologie. Dafür käme Antje Vollmer nicht in Frage. In Zusammenhang mit ihrem Namen werden die Kommissariate für Wissenschaft und Forschung und für Verbraucherschutz und humanitäre Hilfe genannt. Wenn sich die Koalition auf das Wirtschaftsressort verständigt, wäre sie aus dem Rennen. Aus den Reihen der Frauen kam bisher für dieses Kommissariat nur Schreyer in Frage. Allerdings fiel auch der Name von Trittin, der darauf hoffen könnte, sich mit Prodis und Schröders Hilfe gegen die Frauen seiner Fraktion durchzusetzen. Dieter Rulff