Deutschlands Männer ohne Kriegsangst?

■ Trotz Kosovo-Krieg ist die Zahl der Wehrdienstverweigerer bislang nicht angestiegen, wie aus einer noch nicht veröffentlichten Statistik des Verteidigungsministeriums hervorgeht

Manchmal ist die Überraschung dann am größten, wenn sich gar nichts ändert. Obwohl erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg deutsche Soldaten an Kampfeinsätzen teilnehmen, ist die Zahl der Kriegsdienstverweigerer (KDV) im März und April nicht angestiegen.

Die offiziellen Zahlen für April liegen derzeit beim Verteidigungsminister und werden erst in den nächsten Tagen bekannt gegeben. Das Ministerium bestätigt aber die Tendenz. Läßt der Kosovo-Krieg Männer im wehrpflichtigen Alter unberührt?

Im Vergleich zum Golfkrieg vor acht Jahren scheint das auf den ersten Blick der Fall zu sein. Im Januar 1991 wuchs die Zahl der Verweigerer um 150 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Und das, obwohl deutsche Soldaten am Einsatz gegen den Irak gar nicht beteiligt waren. Damals verweigerten jedoch generell viel weniger Männer eines Jahrgangs als heute den Wehrdienst. Die Bundeswehr galt als reine Verteidigungsarmee, was in weiten Kreisen akzeptiert werden konnte.

Der Golfkrieg wirkte wie ein Alarmsignal: Zum ersten Mal stellte sich die Frage, ob das vereinigte Deutschland seinen „Pflichten“ nachkommen und Bundeswehr-Soldaten für internationale Einsätze zur Verfügung stellen müsse. Das schreckte jene, die eine kritische Haltung gegenüber dem Militär hatten, endgültig ab: Sie verweigerten.

Inzwischen verweigert fast die Hälfte eines Jahrgangs den Wehrdienst, hat die Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer errechnet. Das kritische Potential scheint damit abgeschöpft zu sein. Wer sich heute für die Bundeswehr entscheidet, wird auch kein prinzipielles Problem haben mit Nato-Einsätzen ohne UN-Mandat wie im Kosovo. Die veränderte Rolle der Bundeswehr wird mittlerweile akzeptiert.

„Die Salamitaktik von Rühe hat gewirkt“, schätzt Paul Betz, Mitarbeiter in der Zentralstelle. Über die Jahre habe der ehemalige Verteidigungsminister die Einsätze seiner Truppe zunehmend ausgeweitet: von friedenserhaltenden Maßnahmen, Out-of-Area-Einsätzen bis zu den Nato-Luftangriffen. Daran hätten sich viele gewöhnt. „Die Empörung schwindet“, sagt Betz.

Der Vergleich mit dem Golfkrieg trägt allerdings nur bedingt. Die Angst von Wehrpflichtigen, tatsächlich kämpfen zu müssen, war damals nicht unbegründet. Die Bundeswehr unterschied noch nicht zwischen Krisenreaktionskräften, die bei Konflikten zum Einsatz kommen, und Hauptverteidigungskräften, zu denen die Wehrpflichtigen gehören. Heute werden Wehrpflichtige in der Regel nicht an Kampfeinsätzen beteiligt, auch wenn sie keinen Rechtsanspruch auf diese Schonung haben.

Die Soldaten können sich zudem auf eine Gesellschaft stützen, die zu weiten Teilen die Nato-Angriffe auf Restjugoslawien befürwortet. Während 1991 Tausende unter dem Leitmotiv „Kein Blut für Öl“ gegen die USA protestierten, haben dieses Mal sogar die Grünen dem Krieg zugestimmt. Mit der Begründung, Miloevic als Völkermörder zu stoppen, erscheint die Legitimation des Kosovo-Krieges vielen höher als im Golfkrieg.

Die einzige kleine Ausnahme in der Statistik bilden derzeit die Reservisten. In den ersten Kriegswochen verweigerten nachträglich etwas mehr Männer als sonst. Viele von ihnen seien zwar mit dem Verteidigungsauftrag der Bundeswehr einverstanden, lehnten aber einen Angriffskrieg ab, so Betz.

Wenn tatsächlich Bodentruppen eingesetzt werden sollten, rechnet die Zentralstelle mit einer weiteren Steigerung. Denn dann wächst die Angst.

Jutta Wagemann, Berlin