Kommentar
: Die Schutzschilde des Westens

■ Die Informationspolitik der Nato läßt viele Fragen offen

Der Einsatz von Flüchtlingen als „menschliche Schutzschilde“ sei nicht nur zynisch, sagte Pentagon-Sprecher Kenneth Bacon Anfang der Woche, er sei „teuflisch“. Auch Nato-Sprecher Jamie Shea geißelt immer wieder die Taktik der serbischen Streitkräfte, Zivilisten unter Brücken oder vor Panzern festzuhalten. Als menschliche Schutzschilde seien auch im Falle des Dorfes Korisa 500 Kosovaren in ein Lagerhaus gezwungen und dort festgehalten worden, um Nato-Luftangriffe auf in der Nähe gelegene Militärstellungen zu verhindern. Im Falle von Korisa ging diese jugoslawische Taktik nicht auf, mehr als 80 Zivilisten wurden durch das Bombardement getötet.

Sie konnte auch nicht aufgehen, denn die Vorwürfe des Pentagons sind unlogisch: Wie sollten die Nato-Piloten wissen, daß Flüchtlinge in Gebäuden in der Nähe verborgen wurden? Das wäre ja im Falle von Korisa Voraussetzung für den angestrebten Effekt gewesen. Außerdem müßte die serbische Seite wissen, wo die Kampfjets der Nato zuschlagen werden. Jetzt hat mal jemand bei Kenneth Bacon nachgefragt, und die Antwort war ziemlich ausweichend: Die serbischen Einheiten hätten dies gewußt, weil die Nato in den Tagen zuvor ähnliche Ziele angegriffen hatte. Eigentlich, mußte er zugeben, habe die Nato nur Indizienbeweise für diese Taktik. Aber es hinderte ihn nicht daran, die Behauptung aufzustellen, ein Drittel bis die Hälfte der durch Nato-Bomben getöteten Zivilisten sei ums Leben gekommen, weil sie als menschliche Schutzschilde mißbraucht worden seien. Soll da die Schuld für diverse fatale Fehl-Bombardements der Nato zu Miloevic durchgereicht werden?

Auch der US-Sonderbotschafter für Kriegsverbechen, David Scheffer, wagt sich weit vor ins Reich der Vermutungen: Über den Verbleib von etwa 225.000 kosovarischen Männern, etwa die Hälfte der innerhalb des Kosovo Vertriebenen, gebe es keine Erkenntnisse. Er sagt mit keinem Wort, wie er zu dieser Zahl gekommen ist, doch die Medien griffen sie begierig auf und sprachen von „Vermißten“. Er wäre es uns allen aber schuldig, möglichst glaubwürdig darzulegen, was er über Verbrechen im Kosovo weiß. Sonst setzt er sich dem Vorwurf aus, daß die Informationspolitik der Nato den politischen Interessen derer untergeordnet ist, die derzeit noch einer Fortsetzung der Bombardements das Wort reden. Stefan Schaaf