Drei Tage ohne Koffer

■ Ein Gespräch mit Folgen im Hause Deutsche Bahn AG

Ludewig: Wir wollen uns heute in unserer „Planungsgruppe Bahn-Service“ mit dem Haus-zu-Haus Gepäckdienst beschäftigen. Ich referiere kurz das Ergebnis unserer letzten Sitzung: Der Bahnkunde kann mit weniger Gepäck als bisher auf Reisen gehen. Er kann einen Koffer von zu Hause abholen und sich an seine Zieladresse liefern lassen. Für 28 Mark. Soweit die Idee. Jetzt zu unserer Aufgabe: Wie komplizieren wir diese Angelegenheit? Ich bitte um Vorschläge!

Müller: Wir könnten das Gewicht begrenzen. Auf 30 Kilogramm.

Ludewig: Ja, das ist ganz gut, Herr Müller. Machen wir. Aber weiter – dies ist ein Brainstorming! Nur Mut! Sagen Sie frei heraus, was Ihnen durch den Kopf geht. Ja, Frau Streckl-Obersfeld?

Streckl-Obersfeld: Wir liefern den Koffer nicht am selben Tag ab, egal, wie früh der Kunde losgefahren ist.

Ludewig: Ah!

Streckl-Obersfeld: Wir liefern auch nicht am nächsten Tag, sondern innerhalb von zwei Tagen.

Müller: Innerhalb von zwei Werktagen!

Ludewig: Wundervoll!

Streckl-Obersfeld: Außerdem: keine Lieferung und keine Abholung an Sonn- oder Feiertagen.

Müller: Das ist gut! Das ist gut! Hihi! Freitag fahren, Montag den Koffer bekommen! Samstag fahren, Dienstag ist der Koffer da! Sonntag fahren – ...

Ludewig: Koffer kann nur am Samstag abgeholt werden, taucht am Dienstag wieder auf. Sehr schön: Das sind dann sogar drei Tage ohne Koffer. Erstklassig, die Idee.

Streckl-Obersfeld: Dann brauchen wir Liefer- und Abholungszeiten. Vielleicht so: Einmal von 8 bis 13 Uhr, und dann zwischen 17 und 21 Uhr.

Müller: Nicht 14 und 16 Uhr?

Streckl-Obersfeld: Nein. Der Trick liegt in den frühen Zeiten. Ab 8 muß der Koffer fertig gepackt bereitstehen! Das heißt: um 7 Uhr aufstehen!

Ludewig: Ganz prächtig, Frau Streckl-Obersfeld. Aber lassen Sie uns ruhig noch etwas bürokratischer denken.

Müller: Ich hab's! Das Gepäckstück wird nur gegen Vorlage eines gültigen Fahrausweises abgeholt.

Streckl-Obersfeld: Oh, schön! Dann kann der Kunde also erst wegfahren, wenn sein Gepäck bereits abgeholt ist?

Müller: Genau!

Ludewig: Oder jemand muß an seiner Stelle Kopien der Reiseunterlagen vorweisen. Wenn man nicht gerade im Hotel ist ...

Müller: ... muß man einen Nachbarn finden, der zwischen 8 und 13 Uhr zu Hause ist. Ja! Klasse! Aber ... was sagen wir denen, die über Kundennummer buchen wollen?

Ludwig: Hm, das ist knifflig ... Nein, ich weiß schon: Gilt einfach nicht! Die Kundennummer ist ganz egal!

Streckl-Obersfeld: Oh, jetzt verstehe ich, Chef! Es geht überhaupt nicht telefonisch!

Ludewig: Exakt! Kunden mit und Kunden ohne Kundennummer müssen den Gepäcktransport beim zuständigen Bahnhof persönlich anmelden.

Müller: Das bedeutet dann ja, daß man zweimal zum Bahnhof muß! Einmal, um die Kofferabholung zu regeln, und dann noch einmal, um in den Zug zu steigen! Genial, Chef!

Streckl-Obersfeld: Wirklich toll!

Ludewig: Vielen Dank. Aber auch ich habe zu danken. Wir haben jetzt eine Reihe sehr interessanter Verkomplizierungen erarbeitet.

Müller: Chef! Chef! Wir haben vergessen, die Voranmeldung zu regeln! Man muß doch so einen Koffertransport im voraus planen, das geht doch nicht spontan!

Ludewig: Oh Gott, vollkommen richtig. Ja ...

Streckl-Obersfeld: Vier Tage! Vier Tage vorher, und sonst geht es nur ganz vielleicht! (Singt) Ich hab' noch einen Koffer in Berlin ...

Ludewig: Köstlich, haha! Frau Streckl-Obersfeld, Herr Müller: Ich werde für Sie beide eine Gehaltserhöhung beantragen. Sie sind außerordentlich wertvolle Mitarbeiter. Richtmikrophon:

Carola Rönneburg