Blair setzt eine „absolute Frist“ für Nordirland

■ Bis zum 30. Juni muß die Allparteien-Regierung im Amt sein. Und wenn nicht?

Krieg und Frieden – der britische Premierminister Tony Blair ist flexibel. Kaum war er am Mittwoch vom Balkan zurückgekehrt, wo er für den Einsatz von Bodentruppen plädierte, da empfing er die nordirischen Parteichefs in der Downing Street, um sie bei den Friedensverhandlungen zur Einigung zu bewegen. Erfolg ist ihm vorerst in beiden Fällen nicht beschieden.

Dabei hatte man voriges Wochenende eine Formel gefunden, der sowohl Unionistenchef David Trimble, als auch Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams und John Hume von der sozialdemokratischen SDLP zustimmten. Der Plan sah vor, die im Abkommen vom Karfreitag 1998 vorgesehene nordirische Allparteien-Regierung innerhalb von zwei Wochen zu bilden, während die Parteien gleichzeitig die Entwaffnung aller paramilitärischen Organisationen „innerhalb des im Abkommen festgelegten Zeitrahmens“ garantieren sollten.

Doch dann machte Trimbles Fraktion ihm einen Strich durch die Rechnung. Mindestens acht seiner Abgeordneten in der nordirischen Versammlung lehnten den Plan ab, weil sie auf sofortige Ausmusterung der Waffen bestehen. Blair setzte den Parteien daraufhin eine „absolute Frist“: Bis zum 30. Juni muß die nordirische Regierung im Amt sein. Und wenn nicht? Blair verriet nicht, ob er den Friedensprozeß dann für den Sommer auf Eis oder gar vollständig ad acta legen würde.

Beides ist unwahrscheinlich. Im nordirischen Friedensprozeß sind bereits so viele Fristen folgenlos verstrichen, daß Blairs Verärgerung, die zur „absoluten Frist“ führte, wohl eher dem Streß des Wechselbades zwischen Krieg und Frieden geschuldet ist.

Allerdings droht dem Friedensprozeß tatsächlich Gefahr, sollten die Parteien bis Ende Juni keine Fortschritte erzielt haben. Am ersten Sonntag im Juli findet nämlich die jährliche Parade des Oranier-Ordens in Portadown statt, mit der die protestantischen Logenmitglieder der Opfer in der Schlacht an der Somme gedenken. Im vergangenen Jahr wurde die Parade verboten, weil sie durch die katholische Garvaghy Road führen sollte, wobei es in den Vorjahren immer wieder zu Krawallen gekommen war. Seit dem Verbot haben die Oranier mehr als 200 Versuche unternommen, die Polizeisperren zu durchbrechen.

In der Nacht zum Mittwoch war es dabei zu schweren Zusammenstößen mit der Polizei gekommen, auf beiden Seiten gab es Verletzte. Gestern reiste eine Delegation von der Garvaghy Road nach Belfast, um mit der zuständigen Regierungskommission eine Lösung für die sich verschärfende Situation in Portadown zu suchen. Ralf Sotscheck