Notfalls auch Zwangsmaßnahmen

■ Hauptstreitpunkte bei den Plänen für eine Kosovo-Schutztruppe sind Zusammensetzung, Größenordnung, Kommando und Mandat

Berlin (taz) – In Bonn nehmen heute die G 8-Staaten ihre Beratungen über den Text einer Kosovo-Resolution des UNO-Sicherheitsrates wieder auf. Die politischen Direktoren der acht Außenministerien hatten sich nach 14stündigen Diskussionen am Donnerstag auf einen ersten Resolutionsentwurf verständigt, der an entscheidenden Punkten noch Klammern enthält. Hauptstreitpunkte sind nach wie vor Zusammensetzung, Mandat, Größenordnung und Kommando einer internationalen Schutztruppe für das Kosovo. Laut den am 6. Mai in Bonn von den AußenministerInnen der G 8-Staaten vereinbarten Grundprinzipien für eine Lösung des Kosovo-Konflikts soll diese Schutztruppe nach Verabschiedung der UNO-Resolution sowie mit Zustimmung Belgrads stationiert werden – sowie nach zumindest weitgehendem Abzug der jugoslawischen Streitkräfte aus dem Kosovo und nach der Einstellung des Nato-Luftkrieges. Hauptaufgabe der Schutztruppe wäre zunächst, die Rückkehr aller Vertriebenen in ihre Wohnorte durchzusetzen und zu überwachen.

Die Nato will das Kommando über die Schutztruppe

Die Nato-Staaten und insbesonders die USA insistieren weiterhin darauf, daß der „Kern“ der internationalen Schutztruppe von Verbänden aus Nato-Staaten gestellt wird. Auch will die Nato – wenn nicht erklärtermaßen, so doch de facto – das Kommando über die gesamte Schutztruppe führen. Das Mandat des Sicherheitsrates soll auf Basis von Kapitel 7 der UNO-Charta erteilt werden, damit die Truppe notfalls auch Zwangsmaßnahmen anwenden kann. Nur so lasse sich eine durchsetzungsfähige Truppe garantieren und damit die Voraussetzung schaffen, daß sich die Vertriebenen zurücktrauen.

Russische Verbände könnten nach dem Vorbild der SFOR in Bosnien – hier haben die russischen Truppen einen eigenen Kommandeur, sind aber in die Struktur der US-Einheiten eingegliedert – beteiligt werden. Außerdem sollen nach Vorstellung der Nato Truppen aus der Ukraine und aus neutralen Staaten (z. B. Österreich, Finnland oder Schweden) teilnehmen.

Ihre noch aus der Zeit vor Beginn des Luftkrieges stammende Planung für einen Gesamtumfang von 28.000 Soldaten hat die Nato auf fast 50.000 korrigiert. Begründet wird diese Erhöhung unter anderem damit, daß die internationale Schutztruppe weit mehr Aufgaben zu erfüllen hätte: unter anderem die Beseitigung von Minen im Kosovo. Auch rechnet die Nato inzwischen damit, daß die Truppe selbst bei einer vorherigen Zustimmung der Regierung Miloevic zu ihrer Stationierung im Kosovo auf zumindest vereinzelten Widerstand stoßen könnte – etwa von paramilitärischen Verbänden oder gar von Armeeteilen, die dem Belgrader Oberkommando nicht mehr gehorchen.

Miloevic: Nur leicht bewaffnete UN-Blauhelme

Miloevic hat nach Angaben des russischen Vermittlers Viktor Tschernomyrdin zwar zugestimmt, daß „auf der Basis der G 8-Prinzipien Verhandlungen für eine Friedenslösung“ geführt werden. Hinter dieser allgemeinen Formulierung steckt jedoch nach wie vor eine deutlich andere Vorstellung Belgrads über den Charakter der künftigen „internationalen Sicherheitspräsenz“ im Kosovo. Bislang akzeptiert Miloevic lediglich eine leicht bewaffnete Blauhelmtruppe mit weit weniger als den von der Nato vorgesehenen 50.000 Mann. Außerdem besteht Miloevic weiterhin auf einem Ausschluß derjenigen Nato-Staaten, die am Luftkrieg der Allianz gegen Restjugoslawien aktiv beteiligt sind (USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Niederlande, Türkei).

Rußland: Gleichberechtigte Beteiligung am Kommando

Rußland liegt mit seiner Position zwischen Belgrad und der Nato. Einem Sicherheitsratsmandat auf Basis von Kapitel 7 würde Moskau zustimmen – wenn auch Belgrad zustimmt und auch nur dann, wenn die internationale Schutztruppe eindeutig eine UNO-Truppe ist. Die Regierung Jelzin besteht auf einer mit der Nato in jeder Weise gleichberechtigten Beteiligung russischer Verbände an der internationalen Schutztruppe, also auch auf einer gleichberechtigten Beteiligung am Kommando. Das SFOR-Modell aus Bosnien ist für Rußland nicht akzeptabel.

Nato attestiert der UNO „Versagen“ in Bosnien

Die Nato lehnt eine UNO-Truppe mit dem Argument ab, damit ließe sich bei den vertriebenen Kosovaren nicht das notwendige Vertrauen für eine Rückkehr in ihre Heimat erzeugen. Dabei verweist die Nato auf das „Versagen der UNO im Bosnien-Konflikt, insbesondere bei der Verteidigung von Srebrenica und anderen damaligen UNO-Schutzzonen“. Dieses Argument unterschlägt, daß sich bei dem entsprechenden politischen Willen der Mächte im Sicherheitsrat natürlich auch eine UNO-Truppe so mit Mandat und Waffen ausrüsten läßt, daß sie durchsetzungsfähig wäre.

Die Nato-Staaten Großbritannien, Frankreich, Kanada, Belgien, Niederlande und Spanien stellten die große Mehrheit der damals 36.000 UNO-Soldaten und bestimmten die Kommandostruktur. Die Nato-Staaten USA, Frankreich, Großbritannien und Deutschland verweigerten dem damaligen UNO-Generalsekretär Butros Butros Ghali 1993 die verlangte Aufstockung der UnProfor um weitere 35.000 Soldaten, um den Schutz der sechs UNO-Schutzzonen auch durchsetzen zu können.

Und schließlich waren es die Nato-Regierungen in Washington, Bonn und Paris, die die Eroberung Srebrenicas durch serbische Truppen im Juli 1995 zuließen, obwohl sie mindestens drei Wochen vorher detailliert über die Angriffsvorbereitungen informiert waren.

Andreas Zumach