Montagsdemos gegen den Krieg

■ Wie vor zehn Jahren treffen sich montags die Leipziger zum Friedensgebet. Es kommen Christen, Rote und verschämte Grüne

Plötzlich knallen die hellen Strahlen dreier Scheinwerfer ins Halbdunkel. Vor der Nikolaikirche drehen sich die Demonstranten – eben noch schweigend und unschlüssig – wie auf Kommando Richtung Licht. Hunderte Gesichter schauen in die Stasi-Kameras neben den Strahlern. Da ruft einer: „Ihr habt verloren, jetzt sind wir dran.“ Jubel. Geballte Fäuste. Victory-Zeichen.

Zehn Jahre ist es her, daß die montäglichen Friedensgebete in der Leipziger Nikolaikirche ein Lauffeuer entfachten, das für die Offiziellen mit rasender Geschwindigkeit zum unkontrollierbaren Flächenbrand wurde. Leipzigs Pfarrer möchten das jetzt wiederholen. Seit Mitte April gibt es die Friedensgebete wieder – jeden Montag, 17 Uhr, genau wie vor zehn Jahren. Diesmal aber geht es gegen den Krieg.

Achte Kriegswoche. Etwa 1.000 Menschen kommen in die Nikolaikirche. Pfarrer Christian Wolff hat sich das Grundgesetz als „Predigttext“ ausgesucht, als wolle er ermitteln, wohin das Engagement von einst für mehr Demokratie und Menschenrechte geführt hat. Motto des Friedensgebetes: „40 Jahre Verfassung der DDR, 9 Jahre Grundgesetz“. Eine Männerstimme verliest Gesetzespassagen, Artikel 3:„Niemand darf wegen seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt werden.“ Eine Frauenstimme spricht den Kommentar: „Wir bitten für die Politiker, daß sie die Grundrechte aller Menschen achten lernen“. Die Gemeinde betet.

Weil Protest – „wie wir damals gelernt haben“ – hinter Kirchenmauern allein nicht ausreicht, ruft Wolff die Friedensbeter auf, von der Nikolai- zur Thomaskirche zu ziehen. Am Kirchenportal hat der Pfarrer Plakate mit dem oppositionellen DDR-Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“ postieren lassen. Dort warten schon etwa 300 Menschen.

„Imperialismus = Militarismus“, „Frauen gegen den Krieg“ oder „Nato go home“ steht auf ihren Plakaten, die, vorbei an den Straßencafés und Kaufrausch-Passagen, über den Markt getragen werden. Einzelne skandieren „Hoch die inter-natio-nale Soli-dari-tät“, lassen das aber schnell wieder, weil die anderen Demonstranten nicht einstimmen. Einige Passanten diskutieren, ob sie mitlaufen sollen oder nicht. Andere sind empört, über die „Verblendung der Marschierer“. Die meisten blicken angestrengt in ihre Eisbecher.

Vielleicht ein Drittel des Zuges gibt an zu demonstrieren, weil nur der Imperialismus ein Interesse an diesem Krieg haben kann und man gegen „diesen Staatsterrorismus“ sei. Ein anderes Drittel ist wegen der Bündnisgrünen dabei. „Ich habe diese Regierung gewählt, damit es moralischer in der Politik zugeht“, sagt Hermann, ein Unternehmer. Statt Moral habe er jetzt Bomben bekommen. Nina, eine Studentin, will ihre Prinzipien nicht über den Haufen werfen, „anders als die Grünen, seit sie regieren“.

Auf dem Thomaskirchhof spricht auch Gisela Kallenbach, die als christliche Friedensaktivistin vorgestellt wird. „Die traut sich wohl nicht mehr zu sagen, daß sie Bündnisgrüne ist“, murrt ein Demonstrant. „Ich fordere die Bundesregierung auf“, sagt Kallenbach mit erregter Stimme, „das Bombardement zu beenden.“ Das wird dann einigen Demonstranten zu viel. „Ihr seid doch die Regierung“, ruft einer dazwischen. Thomaspfarrer Wolff versucht, die Wogen zu glätten: „Wir werden immer mehr, das allein zählt. Und wir vertrauen auf unseren langen Atem.“ Schließlich habe auch vor zehn Jahren alles klein angefangen.

Nicht alle wollen dann noch mit über den Innenstadt-Ring ziehen – von dem vor zehn Jahren die Bilder von marschierenden Massen um die Welt gingen. Der Zug kommt am Runden Haus vorbei, der einstigen Stasi-Zentrale von Leipzig. „Damit es friedlich bleibt, haben wir hier damals ein Meer von Kerzen hingepflanzt“, erinnert sich Klaus. Jetzt werfen Deutsche Bomben. Klaus will zum nächsten Friedensgebet Kerzen mitbringen. Nick Reimer, Leipzig

Wir werden immer mehr. Das allein zählt. Wir vertrauen auf unseren langen Atem. Auch vor zehn Jahren fing alles klein an.