Primat der Politik aufgeben? –Betr.: „Hafen-City zugeschüttet“, taz bremen vom 6. Mai 1999

In dem Artikel „Hafen –City zugeschüttet“ wird Bürgermeister Henning Scherf mit den Worten zitiert, „entscheidend müsse sein, was die Investoren wollten.“

Falls der Bürgermeister tatsächlich meint, er könne im Alleingang mit einigen Interessenvertretern der Wirtschaft die Planungen durchziehen, dann muß er mit entschiedenem Widerstand aus der Bevölkerung und auch aus der eigenen Partei rechnen. Insbesondere im betroffenen Stadtteil Walle wünschen sich viele Bürgerinnen und Bürger, in die Planungen und Entscheidungen einbezogen zu werden.

Dies wurde zuletzt auf der öffentlichen Sitzung der Beiräte Walle, Gröpelingen und Findorff mit einem gemeinsamen Beschluß dazu deutlich gemacht. Dort hat auch die Waller SPD gemeinsam mit Grünen und PDS erneut klargestellt, daß sie gegen die Ansiedlung des Großmarkts im Hafengebiet ist, gerade um den Weg freizumachen für eine stadtplanerisch und ökonomisch sinnvolle Weiterentwicklung des Reviers.

Schlimm genug, daß die eigenen Parteigenossen oder auch die Mitglieder des Beirats vor den Kopf gestoßen werden, nach dem Motto: „Beschließt doch, was ihr wollt, das Sagen hat ja sowieso die Wirtschaft.“ Schlimmer noch finde ich persönlich als Sozialdemokrat, daß Henning Scherf mit solch einer Aussage die Tendenz befördert, daß in fast allen entscheidenden Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung die Wirtschaft sagt, wo es langzugehen hat.

Vom Primat der Politik abzuweichen erscheint mir fatal in einer Zeit, in der eine rot-grüne Bündnisregierung eben dieses wieder zurückerobern will. Auch wenn die aktuellen Diskussionen um die Steuerreform oder die Neuregelung der 630-Mark-Jobs beweisen, wo die Macht im Staate wirklich sitzt: Gerade dann muß sich die sozialdemokratische Politik als Gegenmacht konstituieren, muß beweisen, daß ihr die Meinungen, Ängste und Nöte der Bevölke-rungsmehrheit wichtiger sind, als die Positionspapiere aus dem Unternehmerlager. Oder wird das Herz doch schon an der Börse gehandelt? Mario Kaese, Vorsitzender des SPD- Ortsvereins Westend