„Ist das der Tod?“ Jubel, Trubel, Zugabe!

■ Warum ein gutes Konzert kein gutes Konzert ist: Zu Besuch bei einem Auftritt des megaweltberühmten MET-Orchestra unter der Leitung des Superstars James Levine

Eins der großen Orchester der Welt in einer riesigen Besetzung zu Gast in der Glocke, geleitet von dem lang-jährigen Direktor, der seinerseits eine Dirigentenkarriere gemacht hat, die ihresgleichen sucht: So etwas ist auch ohne jede weitere Werbung ausverkauft. Das MET Orchestra, das Orchester der Metropolitan Opera New York unter der Leitung James Levines, der ab Sommer 1999 für ein schwindelerregendes Gehalt der Nachfolger von Sergiu Celibidache in München wird. Sechzehn erste Geigen, acht Kontrabässe und ein Spiel von einer atemberaubenden Homogenität. Ich saß im ersten Teil in der zweiten Reihe. Das ist normalerweise denkbar ungünstig für das Erfassen des Zusammenklanges, weil man einigen Instrumenten so nahe ist, daß man sie heraushört. Trotzdem klangen diese sechzehn Geigen wie ein Instrument.

Aber so richtig genießen konnte man das Konzert nur im technischen, oberflächlichen Sinn. An der Wiedergabe von Hector Berlioz „Fantastischer Sinfonie“ war das beispielhaft festzumachen. Diesem außergewöhnlichen Werk liegt ein Programm zugrunde: Berlioz zeigt in fünf Sätzen das Leben eines Künstlers, eines Außenseiters der Gesellschaft, der im Traum zu seiner Hinrichtung schreitet, weil er im Opiumrausch seine Geliebte getötet hat. Diesen „Marche au Supplice“ richtet man ästhetisch hin, wenn der Marschrhythmus zum brillant abgedonnerten Orchestererlebnis gewendet wird. Die fern erinnerte Liebesmelodie – „dolce assai ed appassionato“ schreibt Berlioz – wird von einem Schlagzeugtaumel ohnegleichen erschlagen. Levine dirigierte das ohne jede Tiefenschärfe, ohne inhaltliche Dramaturgie: daß nach diesem Satz das Publikum grölend mit „Wou-wou-wou“ reagierte, sagt nicht nur über dieses selbst etwas aus, sondern auch über die Interpretation. Dem „Dies Irae“-Zitat im Hexensabbat fehlte jede peitschende und gleißende Ironie, dem „Ball“ der taumelnde Sog und vieles mehr. Man muß nur einmal die erschütternden Spannungen gehört haben, die John Eliott Gardiner oder Roger Norrington in diesem Stück erzeugen, dann nutzt einem ein für allemal der schönste und schnellste Orchesterglanz nichts mehr.

Weiter ließ die Programmgestaltung in diesem Musikfest/Praeger und Meier-Konzert zu wünschen übrig: Wagners wahrlich festliche Meistersingerouvertüre, Gunther Schullers bombastisches „Of Reminscences and Reflections“ und Richard Strauß anachronistische „Vier letzte Lieder“: das reine Wunschkonzert. Die rennomierte Wagnersängerin Deborah Voigt sang das Werk von Strauß sehr schön, sehr innerlich, verlor auch zunehmend ihr anfangs unangenehmes Vibrato. Wenn jemand dieses 1948 geschriebene Schwelgen in Tonalität und Schönheit noch einigermaßen glaubwürdig rüberbringen kann, dann Deborah Voigt. Auch dieser Zyklus wurde vom Publikum zerklatscht, und nicht nur das: „Ist dies etwa der Tod?“ fragt Joseph von Eichendorff im letzten Lied, in das der Beifall schon in den Schlußakkord fiel. Und Gunther Schuller, der den „Third-Stream-Music“-Stil geschaffen hat, präsentierte sein Werk als eine muntere Ansammlung von Stilen. Ein Auseinanderklaffen zwischen perfekter Technik und programmmatisch und interpretatorisch sinnvollem Konzert kommt ja gelegentlich vor, selten aber in dieser Krassheit.

Ute Schalz-Laurenze