„Das paßt nicht zusammen“

■  In Bonn wird über den Atomausstieg gefeilscht. In der Provinz fürchten sich Bürger vor der Energiewende. Eine absurde Entwicklung im deutsch-französischen Grenzgebiet

Manfred Zimmer begreift die Welt nicht mehr. Der Bürgermeister der Gemeinde Mettlach schüttelt den Kopf. „Jahrelang ging hier die Angst vor einem Super-GAU um“, erzählt der agile Dorfchef. Sein Blick schweift in die Ferne. Von seinem Büro aus kann Zimmer am Horizont die riesigen Betonklötze des französischen Atommeilers Cattenom sehen. Seit einigen Wochen hat sich das Blatt in der 5.000-Seelen-Gemeinde gewendet. Eine Bürgerinitiative macht Druck. Nicht wie gewohnt gegen das verhaßte AKW der Franzosen. Nein, die kleine Truppe aufgeschreckter Anwohner schießt gegen den geplanten Bau von Windkraftanlagen. Man versteht sich als WKA-Opposition. „Wir wollen keine Windkraft-Monster auf dem Kewelsberg“, sagt Hans Jacobs, Unternehmensberater und Mitglied der lokalen Protestgemeinschaft. Zusammen mit dem Landwirt Helmut Reuter und dem Elektriker Walter Greifeldinger zog Jacobs von Tür zu Tür und sammelte fleißig Unterschriften. „450 Bürger haben sich klar gegen die Errichtung des Windparks ausgesprochen“, meint Reuter. Eine allenfalls lautstarke Minderheit, erzählt der Bauamtsleiter Ferdinand Diedrich.

Seit drei Jahren befaßt sich die Gemeinde mit dem Thema Windenergie. Direkt an der Autobahn A 8 Merzig – Luxemburg pfeift auf dem 440 Meter hohen Kewelsberg der Wind kräftig. Einstimmig hat der Gemeinderat im Frühjahr 1996 beschlossen, die stürmischen Kuppen als Baugelände für einen Propellerpark auszuweisen. Die Investorengruppe Arge WIM, bestehend aus ABB, Enercon und Wintec, will in den kommenden Monaten elf Rotoren mit einer Leistung von jeweils 1,5 Megawatt (MW) in Sichtweite des AKWs Cattenom installieren. Rund 40 Millionen Mark wird die Errichtung des Turbinenfeldes kosten.

Das Konsortium rechnet mit einer umweltfreundlichen Stromausbeute von etwa 30 Millionen Kilowattstunden jährlich. Genug, um fast 10.000 Haushalte mit grüner Energie zu versorgen. Der Öko-Saft soll ins Netz der Vereinigten Saar Elektrizitätswerke (VSE) eingespeist werden. Für Bürgermeister Zimmer ist das Vorhaben ein kleiner Beitrag zur Energiewende. „Alle reden über den Atomausstieg, wir tun etwas dafür“, ist sich der Lokalpolitiker sicher. So sieht das auch Gert Dremmel, Mitarbeiter des Energieriesen ABB. Der Konzern will mit dem Windpark ein Referenzprojekt realisieren. Künftig werde ABB noch stärker auf den Ausbau der regenerativen Energien setzen. „Das ist ein echter Wachstumsmarkt“, so Dremmel.

1998 gingen bundesweit 1.010 High-Tech-Mühlen mit einer Gesamtleistung von 794 Megawatt neu ans Stromnetz. Die gesamte installierte Leistung betrug Mitte Januar fast 3.000 Megawatt – 38 Prozent mehr als zum Jahresende 1997. „Gut fünf Milliarden Kilowattstunden können die Mühlen produzieren, etwa 1 Prozent des deutschen Strombedarfs“, sagt Knut Rehfeldt, Energieexperte beim Deutschen Windenergie-Institut in Wilhelmshaven.

Auch der Arbeitsmarkt konnte durch diese Entwicklung belebt werden. Fast 15.000 Jobs hängen schon heute an der Ökostromproduktion. Greenpeace, der BUND, das renommierte Öko-Institut in Freiburg und selbst der Shell-Konzern rechnen mit einem Anteil des Windstroms an der Stromversorgung bis zum Jahre 2020 von immerhin knapp 20 Prozent. Und zwar unter der Voraussetzung, daß eine sorgfältige Standortwahl die Kriterien des Landschafts- und Naturschutzes berücksichtigt. „Wer aus der Atomenergie aussteigen will, der muß auch sagen, wohin die Reise gehen soll“, fordert Dieter Seifried, Energieexperte der Freiburger Öko-Denkfabrik.

Die Windenergie könnte einen wichtigen Beitrag zu einem umweltverträglicheren Energiemix leisten. Das sieht der SPD-Ortsfürst Josef Schumacher im vom „Windkrieg“ heimgesuchten Mettlach auch so. Für den Sozialdemokraten ist die „Rotoren-Schlacht um den Kewelsberg“ längst entschieden. Die Windräder sieht er als Symbole einer Energiewende von unten. „Der geplante Windpark stört mich weniger als das Atomkraftwerk von Cattenom“, so Schumacher.

Die Gemeinde hat sich verändert, seitdem das Thema Windkraft die Gemüter erregt. Der harte Kern der Bürgerinitiative schürt weiter die Angst vor den „landschaftsfressenden Windkraft-Monstern“. Da wird in Flugblättern davor gewarnt, der Aufbau der Rotoren sei „unökologisch“ und „menschenverachtend“. Außerdem würde bei Immobilien und Grundstücken eine Wertminderung von „bis zu 20 Prozent“ eintreten. Vor Lärmteppichen und unsichtbarem Infraschall müßten die Bewohner geschützt werden. „Das ist reine Stimmungsmache, eine regelrechte Schmutzkampagne“, schimpft Bürgermeister Zimmer. Eine sachliche und vor allem faire Diskussion sei mit den paar Drahtziehern der „Anti-WKA“-Initiative nicht machbar. Die meisten Bürger würden die optischen Nachteile für den Einsatz einer zukunftsorientierten ökologischen Energieform in Kauf nehmen.

Auffällig sei, so Zimmer, daß „der ganze Stunk bei uns“ erst so richtig losgegangen ist, nachdem die Windkraftgegner vom Bundesverband Landschaftsschutz (BLS) mit standardisierten Argumentationspapieren aufgerüstet wurden. Die Schützenhilfe des kleinen Verbandes, der bundesweit vor dem „Windkraft-Terror“ warnt, habe das Klima in Mettlach vergiftet. Wer mit den Rotoren einen Beitrag zum Atomausstieg leisten wolle, so Zimmer, der könne nicht nach dem St.-Florians-Prinzip handeln. „Energiewende ja, aber Windkraft nicht bei uns, das paßt nicht zusammen.“ Michael Franken