Im Schlagschatten der Globalisierung

Der Tourismus ist Global Player der ersten Stunde. Die Kommission für nachhaltige Entwicklung diskutierte in New York die internationalen Rahmenbedingungen touristischer Entwicklung  ■   Von Manfred Pils

Vom 19. bis 30. April fand in New York die siebte Konferenz der Kommission für nachhaltige Entwicklung (CSD) statt. Diese aus 53 Mitgliedsstaaten bestehende Kommission soll die Umsetzung der auf dem Erdgipfel in Rio 1992 beschlossenen Agenda 21 vorantreiben. Dieses Jahr war einer der Schwerpunkte Tourismus. Die Vereinten Nationen haben zudem das Jahr 2002 zum Jahr des Ökotourismus ausgerufen, wozu die CSD in Zusammenarbeit mit Industrie, Gewerkschaften, lokalen Verwaltungen und NGOs einen Aktionsplan für einen nachhaltigen Tourismus ausgearbeitet hat.

Um die Diskussion einordnen zu können, muß man sich die touristische Entwicklung der letzten Jahrzehnte vor Augen halten. Schon heute wird bei einem Viertel alle Urlaubsreisen der Heimatkontinent verlassen, in zwanzig Jahren wird es bereits ein Drit

tel sein. Tourismus agiert global und bleibt auf seiten der Nutznießer einseitig: Nahezu 99 Prozent aller Touristen weltweit sind in Europa, Nordamerika, Australien, Neuseeland oder Japan zu Hause.

Scheinbar paradox ist, daß diese Urlaube für uns Touristen aus dem Norden immer billiger werden. Sieht man hinter die Kulissen, klärt sich manches auf: Die Fluggesellschaften zahlen kaum Steuern, die Entwicklungshilfe der Industriestaaten fließt schon zu einem großen Teil in den Aufbau von Tourismusprojekten, geregelte Arbeitszeiten, Urlaubsanspruch, Kinder- und Jugendschutz oder Mindestlohn gibt es in diesen Ländern ebensowenig wie Umweltvorschriften.

Statt mit Einnahmen sind diese Länder mit zahlreichen negativen Effekten des Tourismus konfrontiert: Umweltzerstörungen vor allem an Küsten und Mangrovenwäldern, übermäßiger Verbrauch an Energie, Wasserverschwendung und Wasserverschmutzung und eine verarmte Bevölkerung, die wegen des Verlusts der traditionellen Erwerbsmöglichkeiten in die Städte und Tourismuszentren drängen. Die schlimmsten Folgen dieser Entwicklung sind Prostitution und sexueller Mißbrauch von Kindern als besonders menschenunwürdiges „Angebot“.

Die Positionen auf der CSD-Konferenz waren klar: auf der einen Seite die Vertreter der lokalen Verwaltungen, NGOs und der Gewerkschaften, die klare Regelungen zum Schutz der Tourismusregionen und der dortigen Bevölkerung verlangten, von der Umsetzung arbeitsrechtlicher Normen bis hin zur Festlegung von Belastungsgrenzen für gefährdete Destinationen. Unterstützt wurde diese Position durch die Europäischen Union, die – möglicherweise auch unter dem Eindruck eines zunehmenden Sozial- und Umweltdumpings zu Lasten des europäischen Tourismus – viele Forderungen dieser Gruppen aufnahmen und in den Verhandlungen durchzusetzen versuchten.

Die Tourismusindustrie war durch den World Travel & Tourism Council, dem Zusammenschluß der 80 größten Tourismuskonzerne der Welt, vertreten. Dieser Verband hatte schon im Vorlauf der Konferenz die Flucht nach vorne angetreten und eine eigene „Agenda 21 für den Tourismus“ ausgearbeitet und ein internationales Gütesiegel für Tourismusbetriebe und Regionen, den „Green globe“, entwickelt. Wie überzeugend diese Bemühungen sind, kann man vielleicht daran ablesen, daß selbst der nicht gerade als fortschrittlich bekannten Welttourismusorganisation WTO/OMT diese Vorschläge nicht weit genug gehen.

Überhaupt möchte die Industrie anstelle von gesetzlichen Vorschriften eher freiwillige Maßnahmen zur Selbstbeschränkung sehen. Da bei den verschiedenen privaten Gütesiegeln inzwischen schon ein munterer Etikettenschwindel in Gang gekommen ist, wird von den NGOs eine Überprüfung der Wirksamkeit dieser Maßnahmen und die Festlegung von international verbindlichen Normen gefordert. Vielleicht bietet der von der WTO gerade diskutierte „Global Code of Ethics“, zu dessen Ausgestaltung die NGOs eingeladen wurden, eine Möglichkeit für einen derartigen globalen Standard.

Die Länder der Dritten Welt befanden sich in einer Zwickmühle. Natürlich sehen sie die Probleme, die der Tourismus in ihren Ländern hervorruft, andererseits konnten sie es nicht zulassen, daß diese Probleme öffentlich an den Pranger gestellt werden, ohne gleichzeitig die Ursachen dafür zu erwähnen. Schließlich sind es die „nördlichen“ Touristen, welche nach Sex mit Kindern „nachfragen“, sind es die nördlichen Reiseveranstalter, welche einen ungeheuren Preisdruck ausüben. Gepaart mit der Armut der Bevölkerung ergibt das einen ausweglosen Zirkel: Mit dem Billigtourismus kann natürlich nicht die Armut bekämpft werden, aber ohne preisgünstige Angebote gäbe es auch weniger Touristen im Land. Anstelle des geschäftsschädigendem Anprangerns von Problemen wünschten sich die Vertreter dieser Länder daher mehr Unterstützung seitens der Industrieländer durch mehr Entwicklungshilfe, Know-how-Transfer und Ausbildung, um die Armut in ihren Ländern wirksam zu bekämpfen.

Leider setzen sie dabei – wie viele industrialisierte Länder auch – auf die Segnungen des Freihandels und fürchten, daß viele der von den NGOs und der EU geforderten Sozial- und Umweltvorschriften sich zu „nichttariflichen“ Handelshemmnissen entwickeln könnten. Da ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten.

Angesichts dieser globalen Gegensätze muß das Ergebnis der Konferenz doch positiv gesehen werden. Unbestritten war letztendlich, daß die Tourismusangebote in enger Zusammenarbeit mit den lokalen Verwaltungen und Gruppen zu entwickeln sind, wobei auf die Erhaltung der sozialen und ökologischen Integrität der Gastregionen zu achten ist, auf die Schonung der Ressourcen und vor allem die Förderung der lokalen Wirtschaft.

Regierungen sollen vermehrt Bildung und Ausbildung im Bereich der lokalen Verwaltungen und der einheimischen Bevölkerung investieren. Gleichzeitig soll das Bewußtsein über soziale und ökologische Kosten gefördert wird.

Die Tourismusindustrie wurde aufgefordert, sich öffentlich von illegalen, ausbeutenden Formen des Tourismus und des Mißbrauchs zu distanzieren, die Regierungen wurden aufgefordert, entsprechende rechtliche Regelungen gegen diese Entwicklungen, insbesondere des sexuellen Mißbrauchs von Kindern, durchzusetzen. Relevante nationale oder internationale Arbeitsstandards sollen eingehalten werden.

Viele Experten haben auf die Bedeutung der gerade anlaufenden Millenniumsrunde der Welthandelsorganisation hingewiesen. Wenn die Liberalisierung des Dienstleistungssektors weiterhin mit Riesenschritten vorangetrieben wird, ohne daß entsprechende Umwelt- und Sozialklauseln eingebaut werden, dann werden sicherlich viele der schönen Beschlüsse der CSD-7 von der Realität schlicht unterlaufen.

Der Autor ist Generalsekretär der Naturfreunde Internationale in WienAngesichts der Liberalisierung sehen viele Tourismusländer soziale und ökologische Auflagen als Handelshemmnisse