Mörder mit reinem Gewissen

■  Während des Völkermordes verringerte Präfekt Kayishema Ruandas Tutsi-Bevölkerung um eine Viertelmillion. Vor Gericht fühlte er sich unschuldig. Jetzt ist er verurteilt.

Berlin (taz) – Das Gatwaro-Sportstadion in der ruandischen Stadt Kibuye war zu Beginn des Völkermordes in Ruanda 1994 ein Refugium für Tutsi. Nach Beginn der landesweiten Massaker durch die Armee und Hutu-Milizen am 7. April 1994 kamen sie in immer größerer Zahl in zentrale Orte in der Stadt. Es war der Präfekt dieser Region im Westen Ruandas, der die Losung ausgegeben hatte, hier könnten sich die Tutsi sicher fühlen.

Bis zum 18. April hatten sich in Gatwaro 18.000 Menschen versammelt. „An diesem Tag stellten die Soldaten ihre Gewehre auf und begannen zu schießen“, berichtete ein Überlebender später der Menschenrechtsorganisation African Rights. „Sie fingen um etwa 13 Uhr an und schossen bis etwa 20 Uhr. Sie gingen auf eine Anhöhe und schossen von dort hinunter. Manchmal kam ein Soldat ans Tor und warf eine Granate ... Draußen warteten Reihen und Reihen von Leuten mit Macheten, um die niederzumähen, die den Kugeln und Granaten entkamen.“

12.000 Menschen sollen an diesem Tag in Gatwaro getötet worden sein. Zwei Monate später sah ein französischer Soldat dort noch 7.000 Leichen herumliegen.

Der Hauptverantwortliche für dieses Massaker war der Präfekt selber, Clement Kayishema. Sechs Zeugen bei seinem Prozeß vor dem Ruanda-Völkermordtribunal in Arusha sagten aus, Kayishema persönlich habe die ersten Schüsse abgegeben. „Tötet diese Hunde!“ befahl er dann den Gendarmen. Er selber habe ein Kind vom Boden gehoben und es „in zwei Stücke geschnitten“.

Gatwaro war, so wurde bei dem Prozeß deutlich, kein Einzelfall. Im Gelände der Kirche von Muguba, wohin sich 5.565 Tutsi geflüchtet hatten, gab ebenfalls der Präfekt den Startschuß. Noch im Mai, so ein Zeuge, spürte er in einer Höhle in den Bergen Hunderte Tutsi auf und ließ sie verbrennen. Insgesamt schrumpfte die Tutsi-Bevölkerung der Präfektur Kibuye während des Völkermordes von 252.000 auf unter 8.000. Auf Kibuye entfiel so fast ein Drittel der 800.000 Opfer des Völkermordes.

Nach dem Zusammenbruch des Völkermordregimes rettete sich Kayishema nach Zaire, wo er als Arzt im Dienst des Malteser-Ordens arbeitete. Später floh er nach Sambia. Dort wurde er am 10. Oktober 1995 verhaftet und im Mai 1996 an das UNO-Ruanda-Tribunal ausgeliefert. Sein Prozeß wurde mit dem des Geschäftmannes Obed Ruzindana aus derselben Präfektur zusammengelegt.

Kayishema plädierte auf nichtschuldig. „Ich habe mir nichts vorzuwerfen, nichts, nichts“, sagte er. „Mein Gewissen ist rein.“ Er war kein typischer Völkermörder. Er gehörte nicht der Staatspartei MRND an, sondern der oppositionellen Christdemokratischen Partei. In seiner Kindheit hütete er Kühe zusammen mit Tutsi-Kindern. Bei den Gerichtsverhandlungen, die von April 1997 bis Oktober 1998 dauerten, schien er nichts zu begreifen. Gegen Prozeßende sagte ihm der Chefankläger: „Sie haben nicht ehrlich vor dieser Kammer gesprochen und Ihre wahre Rolle während der Ereignisse nicht gesagt. Sie waren damals der Präfekt, Sie hatten die Macht, und Sie setzten die politischen Vorgaben aktiv um, nicht wahr?“ Kayishema antwortete: „Das war nicht die Politik der Regierung. Die Anweisungen waren klar. Man sollte die Massaker beenden.“ Womit er sich selber nur noch schuldiger machte.

Gestern wurde Kayishema zu viermal lebenslanger Haft verurteilt. Der Mitangeklagte Ruzindana, der nicht als Anführer, sondern als Mitläufer angeklagt war, erhielt 25 Jahre. Das Urteil gegen Kayishema war das bisher vierte Urteil des Völkermordtribunals und das bisher schwerste. Dominic Johnson

Die ersten Schüsse gab er persönlich ab. „Tötet diese Hunde!“ befahl er. Am Abend waren 12.000 Menschen tot