Liebe Sünde Fragespiele

■ Gib dem simplen Voyeurismus keine Chance: Die Bremer Theatergruppe Lubricat mit einer zweiten Version ihrer Textcollage „Durchgehend geöffnet“ in den Sophiensaelen

Lubricat führt Sex im Namen, und deshalb gibt es zum Geburtstag konsequenterweise Pornokino. Vor zehn Jahren gründete sich die nach einem Gleitmittel benannte freie Theatergruppe in Bremen, gelangte über die Zwischenstation Volksbühne nach Berlin und partizipierte 1996 an der Konzeption der Sophiensaele, die Lubricats Heimspielstätte wurden. Zur Eröffnung zeigten dort Regisseur Dirk Cieslak und Schauspieler Armin Dallapiccola vor drei Jahren Durchgehend geöffnet, eine Textcollage aus „hundert Interviews mit schwulen Pornokinobesuchern“, die ein verstorbener Freund der beiden einst geführt hat.

Zum Jubiläum verschiebt nun eine zweite Version dieser Inszenierung die Sozialempirie in Richtung „Peep!“ und „Liebe Sünde“, den detailversessenen Interviewkatalog zum aufgedrehten Fragespiel. Armin Dallapiccola als Robert vereinigt sämtliche anonyme Sexsucher in einer Person, ist fernsehtauglicher Vorzeigeperverser und einsames Bekenntnistier zugleich, das sich immer wieder unter die lauwarme Fragendusche einer dauergrinsenden Moderatorin (Judika Albrecht) begibt. Herausgequetscht werden soll nicht mehr die Wahrheit, sondern der Spaß. Anonymer Sex? Lustige Sache. Fehlt nur noch, daß die Flasche gedreht wird.

Allerdings kopieren Dallapiccola und Albrecht auf kahler Bühne kein Fernsehen, sondern entwickeln neben der dahinfloskelnd gesprochenen Sprache einen analytischen Gestencode, in dem noch die kleinste Kopfdrehung, die flüchtigste Handbewegung bedeutsam sind.

Die Moderatorin gefriert immer wieder zur Fotografie, während ihre Finger triumphierend auf Robert zeigen, und nur einmal läßt sie beiläufig die Hüften kreisen, um dazu keimfrei von glänzenden Schwänzen und anderer Schlüpferlyrik zu hauchen.

Nervöses Rupfen am T-Shirt, die Arme zur lasziven Pose hinter den Kopf gebogen, ein linkisches Nesteln am Hosenlatz – so lautet Roberts Kommentar zum Text, ebenso verzweifelt redundant wie die Füllwörter seines monologen Sermons, ebenso hilflos wie seine Lieblingsantwort: „Hm – gemischt“.

Der Leerlauf eines intimen Dialogs, den offenkundiges Desinteresse leitet, der Zwiespalt von Geilheit und Einsamkeit – „Zärtlichkeit? Bekomme ich eher zufällig“ – mündet ins moderate Resümee: „Na ja. Es hat eben Vorteile und Nachteile.“

In den vergangenen Jahren fiel Lubricat immer wieder mit puristischen Gegenentwürfen zu jener mal verführerischen, mal bemüht modischen Theaterästhetik auf, die die Wahrnehmungsmechanismen der Gegenwart zu spiegeln versucht. Durchgehend geöffnet 2 versucht entsprechend, eine TV-Situation allein durch die Konzentration auf Körper und Stimmen zuzuspitzen und zugleich so weit zu abstrahieren, daß ein simpler Voyeurismus keine Chance hat.

Tatsächlich gleicht das artifizielle Spiel das Verhältnis zwischen moderierender Karikatur und moderiertem Charakter so stark aus, daß der diffamierende Zoo-Effekt der Talkshows verschwindet und alle unheimliche Erotik in Grund und Boden geredet ist.

Über postmodernen Sex und seine mediale Vermittlung weiß man aber am Ende soviel wie der anonyme Sexaholic, dem man depressiv zustimmt: „Hm – gemischt.“ Eva Behrendt ‚/B‘Weitere Aufführungen von Mittwoch bis Sonntag ab 20 Uhr in den Sophiensaelen, Sophienstr. 18 (Mitte)