Das Team mag keine Heldenproduktion

Berlin Thunder gewann am Sonntag mit 27:20 gegen die Barcelona Dragons, den Tabellenführer der National Football League Europe. Trotzdem scheint vor allem Alltag eingekehrt zu sein in Football-City Berlin. Nicht einmal 9.000 Zuschauer wollten das Spiel sehen  ■ Von Thomas Winkler

Die Hauptdarsteller waren zufrieden. Mehr aber auch nicht. Da saßen sie, Cheftrainer Wes Chandler und Cornerback John Williams, der mit zwei Interceptions entscheidend zum 27:20-Erfolg über die Barcelona Dragons beigetragen hatte, und analysierten seltsam abgeklärt den erfolgreich abgelaufenen Arbeitstag. Übereinstimmend wurde festgestellt, daß „Gewinnen wichtig ist“ (Williams) und für „weiteres Selbstvertrauen“ sorgt (Chandler). Selbst der für sein Dauerlächeln berühmte Manager Michael Lang bemühte sich um eine staatstragende Miene.

Sehr schnell scheint man sich ans Siegen gewöhnt zu haben. Vor einer Woche noch, nach dem ersten sportlichen Erfolg in der noch jungen Berliner Geschichte in der europäischen National Football League, war selbst im dauerhaft bärbeißigen Gesicht von Chandler eine gewisse Freude ablesbar gewesen. „Auf einmal läuft es“, stellte Wide Receiver Jörg Hekkenbach nun leise lächelnd fest. Auch der zum Kikker konvertierte Ex-Fußball-Profi Axel Kruse, der kurz zuvor immerhin das erste Field Goal seiner Karriere versenkt hatte, sprach unaufgeregt davon, nun weiter von „Spiel zu Spiel gucken“ zu wollen. Dann werde man schon sehen, „was sich ergibt“.

Dabei hatte das Tabellenschlußlicht der NFL Europe nicht gegen irgendwen gewonnen, sondern gegen den Tabellenführer. Mit dem Erfolg über den Branchenprimus hat Thunder endgültig demonstriert, daß die Liga ausgeglichen ist, daß „jeder jeden schlagen kann“, wie Heckenbach glaubt.

So hatte es nach den ersten vier Spielen, die zum Teil deutlich verlorengingen, nicht ausgesehen. Nun aber ist dieses, eines der wichtigsten Verkaufsargumente der Liga, wieder in Kraft gesetzt. Rein theoretisch könnten die Berliner sogar noch das Endspiel erreichen. Das Problem ist aber nun: Der Alltag ist eingekehrt bei Thunder, noch bevor Berlin so recht ins Football-Fieber geraten ist. Zwar schwappte in der zweiten Halbzeit tatsächlich einige Male die Welle durchs Jahnstadion, aber nur 8.656 Zuschauer wollten den zweiten Sieg innerhalb von neun Tagen sehen.

Offiziell gab sich Manager Lang zwar zufrieden und erklärte den mageren Besuch damit, daß potentielle Zuschauermassen die Stadt über Pfingsten verlassen hätten, aber wieder lag man deutlich unter dem avisierten Schnitt von 12.000. Kicker Kruse glaubt aber, daß „die Leute, die heute hier waren, auf jeden Fall wiederkommen“ werden zum nächsten Heimspiel in zwei Wochen gegen Düsseldorf Rhein Fire.

Damit es mehr werden, müßten sich weitere Namen neben dem von Kruse in der Stadt etablieren. Der Heldenproduktion widersetzt sich allerdings das Team. Nicht nur Lang hatte erstmals „eine komplette Mannschaftsleistung“ gesehen. Auch Verteidiger-Legende Kevin Greene, als TV-Kommentator für einen US-Sender vor Ort, lobte die Berliner für eine „großartige Teamleistung“ in einem „altmodischen, physischen Football-Spiel“.

Immerhin eine Geschichte drängte sich auf. Quarterback Chris Dittoe war erst am Dienstag eingeflogen worden, nachdem sich am letzten Wochenende die beiden besten Spielmacher von Thunder so schwer verletzt hatten, daß sie diese Saison nicht mehr werden spielen können. Ein zusätzlicher Trainingstag und eine reduzierte Anzahl von Spielzügen sollten nun genügen, Dittoe mit dem Angriffssystem vertraut zu machen. Dittoe löste seine Aufgabe ganz so, wie ihn Lang zur Halbzeit charakterisierte. „Ein ganz Solider“ sei der neue Mann. Ob so einer zum Helden taugt?

Nach seinem wenig spektakulären, aber für die kurze Eingewöhnung erstaunlich souveränen Auftritt, nutzte er seinen frisch gewonnenen Ruhm denn auch weniger dazu, mit einigen flotten, zitierfähigen Sprüchen seinen Bekanntheitsgrad und den des Produkts vor Ort zu steigern. Das Interview mit dem US-Sender war willkommene Gelegenheit, die Familie in der Heimat zu grüßen. Und auf die Frage, warum er nach Berlin gekommen war, antwortetet er: „Hier gibt es gute Möglichkeiten, sich für die NFL zu empfehlen.“ Gemeint war nicht die NFL Europe, sondern die amerikanische Konzernmutter.

Ohne Helden im Team wird es den Berlinern kaum gelingen, die avisierten 12.000 Zuschauer ins Jahn-Stadion zu locken