Der homosexuelle Mann ...   ■  Von Elmar Kraushaar

... ist mit fünf anderen zusammenkommen, um darüber zu reden, wie es sich lebt fast dreißig Jahre nach Erfindung des Schwulen als revolutionärem Subjekt. Sie gehören zur ersten Generation derer, die unbehelligt blieben von juristischer Verfolgung und ihre Umgebung penetrant mit einer Information versorgten: „Wir sind schwul!“

„Ich kannte schließlich keinen Heterosexuellen mehr“, schwelgt einer in Erinnerung, der Hautarzt geworden ist in einer Kurklinik. Sie hatten die Wahl damals, und sie tragen die Entscheidung: Der natürliche Feind des Homosexuellen war der Hetero, und wenn man die Augen ganz fest schloß, war er eigentlich nicht mehr da.

Zwei stoßen sich an, die heute noch Tür an Tür wohnen, Industriemanager der eine, Orchestermusiker der andere: „Auf Pfennigabsätzen – weiß du noch – sind wir die Katzbachstraße runtergewakkelt und haben die Welt verachtet.“ „Ja, ja, und ich habe diesen blutroten Dior-Lack auf den Nägeln getragen, damit die Leute Abstand halten.“ „Die Nacht war der Tag“, wirft einer dazwischen, der jetzt Pastor ist in Schleswig-Holstein, „und die einzige Frau, die ich noch kannte, war die Verkäuferin an der Käsetheke bei Kaiser's.“

„Und heute?“ fragt da jener, der damals schon gemein war und verschlagen: „Wie sieht das Homo-Paradies heute aus?“ Bis der Hautarzt sein Glas auf den Tisch knallt, bleibt es ganz still. „Irgendwann mußte ich raus“, poltert er, „wie am frühen Morgen aus einer Kneipe, wenn die Sonne schon da ist und die Vögel krakeelen. Ich mußte raus, arbeiten und Geld verdienen. Aber einen Fummel“, fügt er hinzu, „den habe ich noch, den mit den grünen Pailletten am Saum.“

Jetzt sind die anderen nicht mehr zu halten. Jeder will was sagen und von heute erzählen. Und alle sagen doch nur das eine: „Scheiße! Scheiße! Scheiße!“ „Hättet ihr gedacht“, fragt wieder der Gemeine, „daß die Heteros uns einmal so über den Tisch ziehen? Hättet ihr euch das träumen lassen? Sie hat uns rangekriegt, diese Schweinebande!“

Der Pastor versucht es ganz ruhig: „Jeder in meiner Gemeinde weiß, daß ich schwul bin. Sie sind freundlich und tolerant, und es passiert nix.“ „Und damit bist du in der Falle“, sagt der Mamager: „Du bist der Schwule, und du machst ihnen den Schwulen, und du hast keine Chance. Wärst du rothaarig, könntest du die Farbe wechseln, bis sie das Rot vergessen haben. Aber daß du schwul bist, das verzeihen sie dir nie. Sie fliehen von der Pißrinne, wenn du zum Klo reinkommst, und die Einladung zum Essen sagen sie ab, weil sie Angst haben, danach geht es nur noch ins Bett. Schließlich fahren sie dich an, du sollst sie in Ruhe lassen mit deinem Privatleben, nur weil du ihnen erzählt hast, daß dein Freund jetzt bei dir einzieht.“

„Das ist der Preis“, meint einer sachlich, der früher Gedichte geschrieben hat und heute juristische Fachbücher lektoriert. „Wir haben uns rausgewagt, waren stolz auf die historische Chance, zeigen uns seitdem und können nicht mehr zurück. Genau wie sie. Ganz grozügig waren sie, wie es ihre Art ist, und müssen jetzt so tun, als seien wir einander gleich. Dabei sortieren sie sich nur neu für die nächste Schlacht. Aber wir“, und jetzt wird er ganz pathetisch, „wir schlagen zurück!“